Niederländisches Modell?

Im selben Monat Juni gab es ein Treffen mit ausländischen Freunden, das Carl Zibung mit einer Redaktions- und Vorstandssitzung im Conti-Club verband.1 Anwesend waren - nebst unserem fast vollzähligen Team - der Österreicher Ambros Pfiffig und der Niederländer Benno Premsela, Leiter des COC.

Carl hatte bereits Ende 1968 einen ausführlichen Bericht zu einem Besuch in Amsterdam veröffentlicht und darin die emanzipatorischen und sozialen Tätigkeiten und Ziele des COC geschildert.2 Jetzt standen Strategien des Aufbruchs, der Übernahme und Umsetzung niederländischer Modelle im Mittelpunkt der Erörterungen und Diskussionen.

Meine Erinnerungen an den Herbst 1961 im COC und die Gespräche an jenen Abenden wurden wach; ich begrüsste in Benno einen alten Bekannten. Vielleicht standen wir, im Unterschied zu damals, jetzt wirklich vor einer Öffnung und konnten sie auch sukzessive realisieren. Benno präsentierte uns zudem die Nummer 1 einer neuen niederländischen Zeitschrift: SEQ. Wir waren uns rasch einig, dass sie in grossem Masse unseren eigenen Vorstellungen und Zielen entsprach. Ambros Pfiffig stellte SEQ in club68 vor und hängte zudem als Kostprobe einen witzigen Ausschnitt über die Erotik des Ohrläppchens, "Das verkannte Organ", daran - mit Kommentar.3

An der Vorstandssitzung vom 29. November 1969 wurde Karl-Robert Schmitz zum Vizepräsidenten gewählt. Wegen Arbeitsüberlastung trat Robert Abraham als Präsident zurück. Er wurde vorläufig durch einen Mann mit dem Pseudonym Alex V. Meier ersetzt. Neue Statuten sollten erstellt und ihr Entwurf am 6. Dezember den Aktivmitgliedern vorgelegt werden. Sie traten am 1. Januar 1970 in Kraft.

Der zukünftige Präsident Alex V. Meier stellte sich Ende 1969 mit einem "Rückblick - Ausblick" vor.4 Er berichtete über die Generalversammlung der Aktivmitglieder vom 4. November 1969, an welcher ein Wechsel der Redaktionsgruppe Thema war: Im kommenden Jahr übernehme Peter Urs Lerch (unter dem Pseudonym Urs Frank) die Leitung und stelle eine neue Gruppe zusammen. Dazu schrieb er:

"Die Gründe für die verschiedenen Rücktritte sind in erster Linie in der chronischen Arbeitsüberlastung zu finden. [...] Sämtliche Zurückgetretenen haben spontan ihre weitere Mitarbeit zugesichert."

Dann erwähnte er den Beratungsdienst, der nun auch telefonisch erreichbar sei, und zur Öffentlichkeitsarbeit äusserte er sich:

"Die Fühlungnahme mit sämtlichen Dozenten der sommerlichen Volkshochschule, der freundliche Kontakt mit Behörden [...], aber auch die Intervention anlässlich der denkwürdigen Versammlung des 'Landesrings' vom vergangenen Oktober beginnen bereits Früchte zu tragen."

Von den Clubs konnte berichtet werden, dass man sich auf einen gemeinsamen Ausweis mit Anerkennung im Ausland geeinigt und ihn realisiert habe. Schliesslich stellte er die immer wieder gleichlautende Hauptfrage:

"Besteht überhaupt ein Bedürfnis nach einer Organisation unserer Art? Ist der Aufwand und die ganze Arbeit durch den Erfolg überhaupt noch gerechtfertigt? Der Erfolg besteht in der Anzahl der Mitglieder. Diese Zahl ist zwar von anfänglich rund 300 auf beachtliche rund 800 gestiegen. Das ist aber immer noch viel zu wenig. [...] Die Devise für das Jahr 1970 heisst also: Mitgliederwerbung und nochmals Mitgliederwerbung! [...]"

(Bereits im Juni 1970 übernahm Robert Abraham jedoch erneut das Präsidium, weil Alex V. Meier ins Tessin umgezogen war.)

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Ernst Ostertag, März 2006

Weiterführende Links intern

Coming Out: LdU-Veranstaltung

Quellenverweise
1

14. Juni 1969, gemäss den Tagesnotizen von Ernst Ostertag

2

club68, Nr. 11/1968, Seite 10 ff. und Nr. 12/1968, Seite 14 ff

3

club68, Nr. 7/8/1969, Seite 6

4

club68, Nr. 12/1969, Seite 3