Pädophilie

…erstaunlich offen diskutiert

Das Problem der Liebe zu Minderjährigen wurde durch zwei Beiträge von Kurt Bänninger / Lex, des Mitarbeiters für juristische Fragen, eingeleitet, in denen er die "heutige Rechtslage" darstellte1, 2. Abschliessend brachte er eine "kritische Würdigung"3. Er äusserte sich kritisch zur Forderung einer Aufhebung des Schutzalters in der Schweiz, weil das die Preisgabe jeglichen Jugendschutzes bedeuten würde. Diese dreiteilige Serie löste ein grösseres Echo in Form von Leserbriefen und ganzen Artikeln aus. Einer davon wurde publiziert, zusammen mit der Stellungnahme des juristischen Mitarbeiters4. Damit war die Diskussion im entsprechenden Forum eröffnet. Als erster meldete sich der bekannte Autor Johannes Werres mit einer ausführlichen Stellungnahme5, in der er u.a. auf den Wissenschafter Wilhart S. Schlegel und sein Buch "Sexuelle Partnerschaft" hinwies, das im Mai/Juni-Heft besprochen wurde6.

Es folgen einige Passagen aus der Stellungnahme von Johannes Werres:

"[…] Jugendschutz ist eine Sache der Natur, der Instinkte. Schutz- und Abwehrinstinkte schützen den Jugendlichen besser und naturgerechter als alle noch so wohlgemeinten Gesetze. Die Tatsache, dass ein Jugendlicher noch schulpflichtig ist, entbindet ihn unter Umständen nicht von der Notwendigkeit, seinem Sexualtrieb nachzugehen. Mit anderen Worten: die juristische Definition dessen, was ein 'Kind' ist, überschneidet sich mitunter erheblich mit der biologischen. […]

Die charakterliche Reifung tritt […] nicht ohne weiteres ein, sondern wird […] gerade durch die Sexualität, durch sexuelle Kontakte mit einem älteren Partner, gefördert - jedenfalls bei einem bestimmten Typ, der bis etwa 25 Jahren führungsbedürftig ist. Wir müssen endlich aufhören, das Gequatsche von dem 'verantwortungslosen Erwachsenen' nachzubeten, das vor allem von einer psychoanalytisch beeinflussten Pädagogik und Rechtsprechung immer noch lautstark gepredigt wird. Bei der Sexualität sind immer Instinkte im Spiel, und hier geschieht nichts, was nicht verständlich wäre oder verständlich, erklärbar, gemacht werden könnte. […] Man muss davon ausgehen, dass es nicht nur 4% ausschliesslich Homosexuelle gibt, sondern zusätzlich an die 46% mehr oder weniger Bisexuelle, deren Homosexualität gerade in der Zeit zwischen Pubertät und Mitte der zwanzig stark ausgeprägt ist und sich vornehmlich nicht auf Gleichaltrige sondern Ältere richtet. […]

Der junge Mensch hat Sexualität nötig. Er wird sich nur vorübergehend mit dem unzulänglichen Ersatz der Onanie zufrieden geben. Eine Frau als Ehefrau kommt für ihn mit 12-16 Jahren kaum in Frage, es sei denn eine ältere Frau, ein ebenso grosses Tabu noch wie die Pädophilie. Gleichaltrige Junge verlieren für ihn langsam an Interesse. Sie bieten ihm nur flüchtige Illusionserfüllung. Gleichaltrige weiche Mädchen interessieren ihn ebenfalls nicht. Warum bloss üben auf ihn Ältere, Erwachsene einen so grossen Einfluss, eine so starke Anziehungskraft aus? Die Verhaltensforschung hat es erklärt. Reife, Männlichkeit, der höhere Rang, symbolisiert durch höheres Alter, wirken als Auslöser, als Schlüsselreize für den jugendlichen Instinkt, ebenso wie auf den Älteren die Jugendlichkeit und die 'Schönheit' des Jungen als auslösender Schlüsselreiz fungieren und ihm anzeigen: hier ist ein führungsbedürftiger junger Mensch. […]

Es kommt darauf an, wissenschaftliche Ergebnisse, die den offenkundigen Anschein der Wahrheit haben, zu fördern, zu verbreiten und vor allem der Rechtsprechung bekannt zu geben. Hier haben die Homosexuellen als Vermittler eine grosse Aufgabe. Die Ergebnisse der Verhaltensforscher […] kommen jedenfalls der Wahrheit näher als die Theorien der Psychoanalytiker, deren letzte Weisheit nur der 'Lustgewinn' ist und die ängstlich am sogenannten Schutzalter festhalten, statt dem Jugendlichen endlich neben religiöser auch sexuelle Freiheit von der Pubertät an zuzubilligen. Es wird Zeit, dass man in der Schweiz das erkennt. […]

Die schweizerische Praxis scheint reichlich revisionsbedürftig. Anderswo nehmen sich die Jungen [von heute] was sie wollen. In der Schweiz sind die jungen Leute offenbar noch immer zu gut erzogen dazu."

Nun meldete sich ein Felix Bär und erzählte aus seinem Leben als Liebhaber von Minderjährigen7. "die diskussion" wurde im Jahrgang 1971 fortgesetzt u.a. mit Zuschriften von zwei Pädophilen. Daraus einige Zitate. Der Leser "Canti" schrieb unter dem Titel "Vorzüge und Schattenseiten der Päderastie"8:

"[…] Worin liegt der Reiz der Knabenliebe? Ich glaube, es geht um drei Dinge:

- Um Pädagogik [altgriechisch] (ins Deutsch übersetzt = Knabenführung)
,
- um Ästhetik und platonische Liebe,
 und
- um mehr oder weniger starken, oft verkappten und nicht einmal immer dem betreffenden selbst bewussten
 Sexus.


Wie herrlich schön und edel ist es schon, einen jungen Menschen zu belehren und ihn zu grösserem Wissen und grösserer Erkenntnis heranzubilden. Solcher Eros liegt mehr oder weniger in jedem Menschen.
 Homoerotische Lehrer sind, wenn sie die Gnade haben, sich zu beherrschen, erwiesenermassen die besten Lehrer und Pädagogen.
 Was gibt es schöneres auf dieser Welt, als die Erscheinung eines wohlgebildeten Knaben- oder Jünglingskörpers? […]

Nach neuer Erkenntnis wird die These vertreten, dass Homoerotik in den weitaus meisten Fällen angeboren sei und man keinen eindeutig heterosexuell Veranlagten verführen könne. Wenn dies zutrifft, dann ist das Verbot der Knabenliebe ein Unrecht und ein Unglück für die Menschheit. Wenn der Gesetzgeber den sexuellen Verkehr mit Jugendlichen gestatten würde, hätte jeder junge Mensch die Möglichkeit, sich und seine Neigungen zu testen. Mit 18 bis 20 Jahren wüsste er dann, wo er hingehört. Es gäbe viel weniger verklemmte, gegen ihre wahre Natur lebende Menschen auf dieser Welt. Es gäbe weniger zerkrachte Ehen und unglückliche Familien. […]"

Dass die Herausgeber solche Äusserungen veröffentlichten war durchaus mutig, auch wenn sie sich mit der Bemerkung schützten:

"Die Zuschriften, welche in der Rubrik 'die diskussion' publiziert werden, decken sich nicht unbedingt mit den Meinungen und Ansichten der Redaktion."

Der zweite Pädophile setzte den Titel "Halt!" und zeichnete mit "Ulrich F.". Er schrieb u.a.9:

"Ich bin dafür, dass das Schutzalter auf 18 Jahre herabgesetzt wird. Denn ein junger Mann von 18 Jahren weiss heute, ob er ein intimes Verhältnis mit einem Mann eingehen will und welche Konsequenzen er in diesem Fall zu übernehmen hat. Es ist im Jahre 1971 einfach absurd, wenn ein 18- oder 19jähriger das Beisammensein mit seinem Partner nur halben Herzens geniessen kann, weil er sich vor einem Skandal oder gar einem Gerichtsverfahren fürchten muss, nur weil sein Freund einige Jahre älter ist als er.

Ich bin auch dafür, dass intime Beziehungen straffrei werden, wenn beide Partner minderjährig (also 16-20 Jahre alt) sind. Denn oftmals sind sexuelle Spielereien zwischen zwei Jungen für die Pubertierenden ein notwendiges Ventil. Sie müssen auch nicht unbedingt ein Anzeichen für eine latente homoerotische Veranlagung sein. […]

Ich bin aber dagegen, dass Volljährige den gesetzlichen Freibrief erhalten, auf Jünglinge unter 18 Jahren loszugehen. Denn, Hand aufs Herz, liebe Anhänger der Knabenliebe, ist es nicht so, dass ein Junge sehr oft in einem wesentlich älteren Freund den Mentor oder gar den Vaterersatz sieht: diesem Mann, der seinen suchenden Geist zu führen versteht und der ihm materiell und gesellschaftlich einiges bieten kann, bedingungslos vertraut und ihn zu seinem Vorbild macht. Und dann kommt der Moment, wo der 'Herr' […] seine Ansprüche geltend macht […], dann wird aus dem Idealbild plötzlich ein vor Lust geifernder Fremdling […]. Und wenn [der Junge] dann aufs Tiefste erschrocken die Liebkosungen und […] Leidenschaften eines wesentlich älteren Freundes ertragen muss und sich nicht zu wehren getraut, weil er sich diesem verpflichtet fühlt, [dann] kann er einen schweren Schock davontragen und unter Umständen sein ganzes Leben lang keine ekelfreie Beziehung zur Sexualität finden. Der Schreibende berichtet hier von eigenen Erfahrungen. Er hat die Schrecknisse, die er mit 15 und 16 Jahren erlebte, heute noch nicht vergessen, und er hat lange Zeit gebraucht, bis er wieder rein und tief zu lieben vermochte. […]"

Ein polemischer Artikel "Kampf gegen Pornographie" von Johannes Werres beschloss die Diskussion10.

Wissenschaftliche Aufarbeitung der Knabenliebe

1970 erschien das Werk des niederländischen Wissenschafters Edward Brongersma "Das verfemte Geschlecht, Dokumentation über die Knabenliebe" in einer durch Johannes Werres ins Deutsche übersetzten Ausgabe. Es wurde sofort kontrovers diskutiert. Brongersma hatte Material über Pädophilie gesammelt und es wissenschaftlich einwandfrei zusammengefasst. Damit hatte er das von unterschwelligen Emotionen beherrschte, verpönte und weitgehend unterdrückte Phänomen auf eine vernunftbestimmte Ebene gebracht und als Gesamtdarstellung veröffentlicht. Das Buch erschien in der Reihe Sexualwissenschaft bei Lichtenberg, München. Es wurde im Oktoberheft club68 von Daniel Dieter vorgestellt. Daraus einige Passagen11:

"[…] Wissenschaftlich ist diese Dokumentation allerdings nicht in dem Sinn, dass sie neue Ergebnisse zutage bringen würde. Sie fasst vorhandenes Material zusammen und öffnet so den Blick für neue und überraschende Aspekte. Wem ist z.B. schon wirklich bewusst geworden, dass Pädophilie der Heterosexualität näher steht als der Homosexualität, wie es Brongersma behauptet? […]

Was ist aber pädophil? Diese Frage ist keinesfalls überflüssig, und sie muss in jedem Falle präzisiert werden. Denn es ist überhaupt nicht dasselbe, ob ein erwachsener Mann zu einem noch nicht geschlechtsreifen oder einem geschlechtsreifen Knaben eine sexuelle Beziehung hat. Auch die Neigungen von Männern zu Mädchen und von Frauen zu Jungen oder Mädchen laufen unter dem Begriff Pädophilie. Brongersma befasst sich ausschliesslich mit der 'erotischen Neigung von Männern zu geschlechtsreifen Unerwachsenen desselben Geschlechts'. In der wissenschaftlichen Literatur wird nicht zwischen der Neigung eines Mannes zu einem noch nicht geschlechtsreifen und der Neigung zu einem geschlechtsreifen Kind unterschieden, zum Nachteil der 'echten' Pädophilen, die eine richtiggehende Liebesbeziehung zu einem geschlechtsreifen Jungen mit Erwiderung der Liebe von Seiten des Jungen einzugehen vermögen. […]"

Die Neuerscheinung mit dem Wort "Knabenliebe" im Untertitel löste Wellen von Für und Wider in vielen Gesellschaftsschichten aus. Brongersma befasste sich mit der "erotischen Neigung von Männern zu geschlechtsreifen Unerwachsenen desselben Geschlechts", also nicht mit noch unreifen Kindern. Damit ermöglichte er die positive Sicht auf seine Dokumentation: "Endlich bricht einer mit Vorurteilen!", so die damalige Einschätzung. In diesem Sinn schrieb Daniel Dieter in seiner Besprechung11:

"Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus hat Brongersma das erste vernünftige Wort über Pädophilie gesprochen [...]

Was gilt es zu dokumentieren? Dass ein geschlechtsreifer Junge homosexuelle Neigungen hat. Dass nicht jeder Homosexuelle ein Pädophiler ist. Dass Verdrängungen pädophiler Neigungen häufiger sind als Verdrängungen homosexueller Neigungen, und dass deshalb die Abneigung gegen Pädophilie grösser ist als gegen Homosexualität. Dass der Pädophile nicht die Sexualität des Jungen aufweckt, sondern auf eine bereits vorhandene Sexualität stösst. Dass homosexuelle Beziehungen des heterosexuellen Jungen keine bleibende homosexuelle Prägung hinterlassen. [...]"

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Ernst Ostertag, März 2006, Juli 2020

Quellenverweise
1

club68, Nr. 2/1970, Seite 4

2

club68, Nr. 3/1970, Seite 4

3

club68, Nr. 4/1970, Seite 4

4

club68, Nr. 5/6/1970, Seite 5

5

club68, Nr. 11/1970, Seite 7

6

club68, Nr. 5/6 1970, Seite 12

7

club68, Nr. 12/1970, Seite 6

8

club68, Nr. 1/1971, Seite 12

9

club68, Nr. 1/1971, Seite 13

10

club68, Nr. 2/1971, Seite 8

11

club68, Nr. 10/1970, Seite 9