Befragung
...der Nationalratskandidaten vor den Wahlen
Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen befragte die SOH durch ihren Präsidenten, Robert D. Abraham, die Zentralsekretariate der wichtigsten Parteien und die Nationalratskandidaten persönlich über ihre Einstellung zu Fragen der Anerkennung und Besserstellung von homosexuellen Mitbürgern. Für die Schweiz war das eine absolute Neuheit. Die Fragen lauteten:1
- Der unterschiedliche Ansatz der Schutzaltersgrenze bei Heterophilen einerseits und Homophilen anderseits stellt eine Rechtsungleichheit dar. So werden in der Schweiz noch immer volljährige Homophile verurteilt, weil sie mit 18- oder 19jährigen eine sexuelle Verbindung eingehen. Ein heterophiler Mann dagegen, der mit einem 18jährigen Mädchen verkehrt, geht straffrei aus. Unterstützen Sie eine Überprüfung dieser Rechtssituation?
- In der Stadt Zürich werden, laut Aussage von Schulvorstand Jakob Baur, Homophile nicht zur Wahl als Lehrer vorgeschlagen, falls ihre Neigung bekannt ist. [...] Dies trifft auch auf andere Gemeinden zu. Finden Sie das in Ordnung?
- Befürworten Sie einen progressiven, aufgeklärten Sexualunterricht in der Schule, bei dem auch die Homosexualität objektiv und von kompetenter Seite aus behandelt wird? Unter objektiv verstehen wir, dass Homosexualität weder als Krankheit noch als Verbrechen dargestellt wird, sondern als eine vollwertige Art der Lebensgestaltung.
- Der Homophile beansprucht die totale soziale Gleichberechtigung mit den Heterophilen. Betrachten Sie diese Forderung als gerechtfertigt?
- Würden Sie die Bewerbung eines qualifizierten Kandidaten für ein politisches Amt ablehnen, nur weil er homophil ist?
Eine Auswertung konnte erst in der neuen Zeitung Plädoyer publiziert werden. Dort geschah sie gründlich, mit einer Grafik und zwei Tabellen verdeutlicht. Sie zog sich über drei Ausgaben hin.
- In Nr. 2/1972 vom März2 erschien der erste Teil unter dem Titel "Die politischen Parteien der Schweiz zum Thema 'Homophile', Bericht über eine Umfrage", verfasst von Bert Jonas. Jeder Stellungnahme einer Partei fügte der Autor persönliche Beispiele aus Antworten einzelner Kandidaten hinzu. In diesem ersten Teil ging es nach einleitenden Abschnitten auch um die Feststellung, dass von allen 11 angegangenen Parteien nur die Evangelische Volkspartei, also "die EVP (die 'Partei im Dienste am Mitmenschen') und die Leitung der Republikanischen Bewegung in Zürich die beiden negativen Ausnahmen bildeten. Sie schwiegen." Dann wurde bei der politischen Rechten begonnen: "BGB / FP - Herrschaft des 'Althergebrachten' "
- Der zweite Teil war der "CVP - hohe Ideale, graue Alltagswirklichkeit" gewidmet.3
- Der dritte Teil brachte die Ergebnisse der restlichen Parteien4, wobei die ganz kleinen lediglich in den Schlussbemerkungen kurz erwähnt wurden: "Landesring (LdU) - Breite Unterstützung", "Sozialdemokratische Partei - Spaltung in Reiter und Fussvolk?" und die Kommunisten "Partei der Arbeit - Positiv, aber zurückhaltend".
- Eine "Auswertung mit Rücksicht auf die berufliche Tätigkeit der Kandidaten" zeigte in Tabellenform, dass die positivsten Wertungen zur Frage der Homophilie bei Architekten, Grafikern und Werbefachleuten wie auch bei Akademikern, Redaktoren, Journalisten zu finden waren (70% und darüber), gefolgt von Landwirten, Arbeitern, Politikern, höheren Beamten, leitenden Funktionären in Parteien, Verbänden, Privatwirtschaft und Beamten/Angestellten (61 bis 70%), während Theologen, Mediziner, Ingenieure und Techniker auf 50 bis 60% kamen. Weit unter 40% blieben Lehrer/Schulfachleute und Kaufleute/Gewerbetreibende.
Abschliessender Kommentar von Bert Jonas:
"Mit Hilfe solcher und ähnlicher Recherchen kommen wir zum Schluss, dass der weitaus überwiegende Teil der NR-Kandidaten ohne Umstände und aufrichtig zu diesen heiklen Fragen Stellung nahm. Und dass nicht wenige Politiker eine Sexualreform im Interesse der allgemeinen Volksgesundheit befürworten. Die Zukunft wird zeigen, ob ihren Worten auch Taten folgen."
Ernst Ostertag, März 2006
Weiterführende Links intern
Quellenverweise
- 1
club68, Nr. 10/1971, Seite 6
- 2
Plädoyer, Nr. 2/1972, Seite 4/5
- 3
Plädoyer, Nr. 3/1972, Seite 3
- 4
Plädoyer, Nr. 4/1972, Seite 2/3