ab 1979

Ausschweigen

Kein Bewältigen der Vergangenheit

Die endgültige und dauerhafte Abschaffung und Vernichtung des Registers war erreicht. Trotzdem blieb ein Stachel zurück:

Keine Polizeistelle, keiner der verantwortlichen Chefs, weder der Polizeivorstand selbst noch der Stadtrat als Gesamtgremium nahm auch nur mit einem einzigen Satz Stellung zur jahrelang ausgeübten "sinnlosen" Praxis: Der erzwungenen Registrierung von unbescholtenen Bürgern einzig und allein aus dem Grund, weil sie homosexuell waren oder als homosexuell vermutet wurden.

Man schwieg sich aus. Niemand hatte die Zivilcourage für ein Wort des Bedauerns, obwohl den allermeisten Verantwortlichen in allen Chargen ihr widerrechtliches Tun bewusst war und noch klar in Erinnerung haften musste. Denn nebst Kripo-Chef Hubatka war auch der Kommandant der Stadtpolizei, Rolf Bertschi, zur Zeit der schlimmsten Repression gegen Homosexuelle in den frühen 60er Jahren bereits im Amt. Ganz zu schweigen von den zahllosen an Razzien und auf den Posten handfest beteiligten Polizisten; sie verhielten sich - verständlicherweise - wie ihre Chefs. Wer hätte sich schon exponieren wollen?

Mit dem offiziellen Ausschweigen konnte es auch keinerlei Form von Entschuldigung gegenüber den weit über 1000 Opfern geben. Sie blieben im Dunkel einer unbewältigten Vergangenheit. Nur wenige von ihnen fanden den Mut, sich schriftlich zu ihren Demütigungen zu äussern. Die meisten haben sich jedoch darüber so sehr geschämt, dass sie ihre Erinnerungen zudeckten und verdrängten. Also blieb das Ausschweigen bestehen, auf beiden Seiten.

Ernst Ostertag, Mai 2007