1990

In die Öffentlichkeit

Pressemitteilungen, Kommentare

Die Antwort, gezeichnet von Herbert Böhlen, Polizeikommando des Kantons Bern, trug das Datum des 12. Juli 1990 und basierte auf (nur) drei Punkten:

  1. Wir sind zum Schluss gekommen, dass die bis anhin geführte Homosexuellen- und Strichjungenkartei nicht weitergeführt wird.
  2. Die bestehenden Registerkarten sollen, unter vorgängiger Wahrung der Einsichtsrechte der Betroffenen, vollumfänglich vernichtet werden. Zur Geltendmachung der Einsichtsrechte im Sinne des Datenschutzgesetzes des Kantons Bern vom Februar 1986 räumen wir den Betroffenen - in Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten [...] - eine Frist bis Ende 1990 ein.1 Danach werden die bestehenden Registerkarten vernichtet. [...]
  3. Wir weisen Sie im Weiteren darauf hin, dass künftig Homosexuelle, die straffällig geworden sind, nach den gleichen Regeln wie andere Personen polizeilich erfasst und registriert werden.

Wir sind überzeugt davon, dass durch die angesprochenen Massnahmen den berechtigten Anliegen der Betroffenen Rechnung getragen werden kann und erlauben uns deshalb, auf den Ihrem Schreiben beigelegten Fragenkatalog nicht weiter einzugehen. [...]"

Diese Antwort und der Umstand, dass die Polizei für den nächsten Tag eine Pressekonferenz anberaumt hatte, führten zu einer sehr raschen Reaktion der Organisationen in Form einer Pressemitteilung vom selben Tag, dem 13. Juli 1990:

Abschaffung der Schwulenkartei reicht nicht.

Erfolg für Schwulenorganisationen.

Die HAB (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern), der Ursus Club Bern und die SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) haben vom Entscheid des Kommandanten der Kantonspolizei Bern, die Register über die Homosexuellen, Strichjungen und Prostituierten abzuschaffen, Kenntnis genommen. Sie begrüssen die Abschaffung und hoffen, dass damit ein Anfang gemacht ist zu einem menschlicheren Umgang der Polizei mit Homosexuellen.

Die Abschaffung wird jedoch nicht als Entgegenkommen der Polizei betrachtet, sondern als eine Selbstverständlichkeit.

Die drei Organisationen halten an den weiteren Forderungen fest, die sie dem Polizeikommando bereits früher unterbreitet hatten. Insbesondere sei die öffentliche Entschuldigung für die jahrelange menschenverachtende Registrierung noch ausstehend. Zudem bestehen sie darauf, dass der Datenschutzbeauftragte des Kantons Bern als Vertrauensperson, wie versprochen, vor einer Vernichtung der Kartei deren Inhalt weiter untersucht. Auch vom Polizeikommando wird die Beantwortung weiterer schriftlich gestellter Fragen erwartet. Dieses Vorgehen war am 14. Mai vereinbart worden.

Im Verlaufe des Julis werden Polizeikommando und die drei Organisationen zu einer weiteren Besprechung zusammenkommen. Dann wird eine Antwort auf die noch nicht erfüllten Forderungen erwartet.

Die Informationssperre gegenüber der kantonalen und der städtischen Polizei, im speziellen im hängigen Mordfall Alboth, bleibt bestehen."

In ihrer Ausgabe vom 14. Juli 1990 berichtete die Berner Zeitung BZ unter dem Titel "Dirnen- und Schwulenkartei werden 1991 vernichtet" und druckte dabei Zitate aus dem Pressecommuniqué der Kantonspolizei ab wie fast den ganzen Text der drei Organisationen.

Die Berner Tagwacht vom selben Tag setzte die Überschrift "Horrorkartei ist vom Tisch":

"[...] Ausschlaggebend [...] sei der [...] Inspektionsbericht des Datenschutzbeauftragten Urs Belser gewesen [...]. 'Dabei hat sich gezeigt, dass der Zweck der Kartei - die Ermittlungen bei Delikten gegen Leib und Leben zu unterstützen - gemessen am Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sowie an der Erfolgsquote als unverhältnismässig beurteilt werden kann', schreibt die Polizei. Das Wort 'kann' anstelle des üblichen 'muss' lässt allerdings durchblicken, dass Böhlen seinen Entscheid als Ermessensfrage betrachtet. [...]

In Verhandlungen mit der Kantonspolizei forderten die Schwulenorganisationen aber die gänzliche Vernichtung der Kartei, welche detaillierte Auskünfte über intimste Details der Betroffenen enthält. Solange die Kartei bestehe, sollten Schwule bei Delikten unter Homosexuellen der Polizei keine Informationen geben, [...]. Wütende Proteste kamen auch von Frauen aus dem Sexgewerbe sowie von Seiten des Gastgewerbes, das sich durch das bei der Dirnenkarte vorgegebene Feld 'Angestellt (Serviertochter/Barmaid)' diskriminiert fühlte."

Ernst Ostertag, Juni 2007

Anmerkungen
1

Damit war nicht geklärt, ob die Betroffenen automatisch von den Tätern, also der Polizei, über die Existenz einer sie betreffenden Meldekarte unterrichtet und auf das Einsichtsrecht hingewiesen werden, wie es korrekterweise hätte geschehen müssen.