1990

Schwule reagieren sofort

Kontakte abbrechen, Aussprache

Die Organisationen handelten rasch und liessen es nicht bei Communiqués bewenden. Einer ersten internen Sitzung von HAB (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern), Ursus Club Bern und SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) am 8. Mai 1990 folgte die gemeinsam beschlossene und textlich von Jürg Wehrli am 9. Mai telefonisch mit Berny (Bernhard) Schaller vom Ursus Club festgelegte und dann schriftlich formulierte Initiative:

"Sofortiger Abbruch der informellen Kontakte zu StaPo und KaPo von Seiten der kommerziellen Schwulen sowie der politischen Schwulen in Stadt und Kanton Bern. Anfragen der Polizei sollen nicht mehr beantwortet werden, bis die Angelegenheit Schwulen-Kartei der KaPo Bern zu unserer Zufriedenheit erledigt ist und sich das Klima uns gegenüber verbessert hat.

Koordinator: Berny Schaller [...].

Vorgehen: Berny wird so viele Leute aus der Szene wie möglich kontaktieren und instruieren.

Instruktion:

Keine Auskünfte mehr gegenüber KaPo Bern und StaPo Bern

Notieren von Namen und Dienstgrad anfragender Beamter

Rückmeldung solcher Anfragen ausschliesslich an Berny Schaller; Rückmeldung auch, ob Polizeibeamte allenfalls Druck ausübten

Erklären des konzentrierten Vorgehens der Organisationen, damit der Hintergrund klar wird (Gewicht)

Die Aktion gilt bis Widerruf durch Berny Schaller in Absprache mit HAB und SOH.

Berny Schaller informiert die HAB-Verantwortlichen."

Am 14. Mai kam es zu einer ersten Aussprache der Organisationen mit dem Kommando der Kantonspolizei Bern. Anwesend waren - laut Protokoll der SOH nach Tonbandaufnahme, was vereinbart und gestattet wurde - seitens der Polizei der Kommandant, Herbert Böhlen, und drei weitere interne Chefs, der kantonale Datenschützer, Urs Belser, mit einem psychologischen Berater. Von den Homosexuellen-Organisationen waren dabei: Hans Ineichen (HAB) mit einem zweiten Vertreter der HAB, Berny Schaller vom Ursus Club und Jürg Wehrli von der SOH.

Der eigentliche, politische Verantwortliche für die Einführung der Meldekarten-Kartei per 1. Juni 1977 fehlte: Robert Bauder (FDP), Regierungsrat des Kantons Bern und Polizeidirektor von 1954 bis 1980. Er war jetzt nicht mehr im Amt. 1979 hingegen war das noch der Fall, als es um die Abschaffung der Homo-Register in der Stadt Bern ging. Damals hatte er geschwiegen, wohl in der sehr fragwürdigen Annahme, es gehe nur um die Stadtpolizei. Dabei hatten die Homosexuellen-Organisationen an der Presseorientierung vom 18. Juni 1979 klar und deutlich gefordert, dass sich ihre Petition gegen alle Homo-Register richte "Weg mit den Homo-Registern!". Das Presseecho konnte auch der Kantonspolizei und ihrem obersten Chef nicht unbekannt geblieben sein. Aber statt die geheime Meldekarten-Praxis still zu beerdigen, liess er sie munter weiterlaufen und vermachte das faule Ei seinen Nachfolgern.

Bei der Aussprache vom 14. Mai 1990 erklärte Kommandant Böhlen einleitend:

"Ich möchte bei den Vertretern der Homosexuellen-Organisationen Vertrauenskapital schaffen. Das Kommando wollte in keiner Art und Weise irgendjemanden diskriminieren und wenn dies geschehen ist, so entschuldige ich mich in diesem Sinne. Die selbstauferlegte Grundhaltung des Kommandos ist, niemanden zu diskriminieren (Leitbild). Hingegen will das Kommando seinen Auftrag möglichst gut erfüllen. Mein Vorschlag zum heutigen Sitzungsverlauf: Zuerst erklärt das Kommando die aktuelle Situation, dann folgt die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten, anschliessend sollen die Vertreter der Organisationen ihre Bedenken anmelden."

Jürg Wehrli erklärte dazu:

"Ich bin damit grundsätzlich einverstanden, betone aber, dass es nicht nur um blosse Vorbehalte geht, sondern um konkrete Forderungen, die heute beim Kommando deponiert werden sollen."

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Ernst Ostertag, Juni 2007