1945

Im diplomatischen Corps

Administrativuntersuchung

Unter dem Titel "Es drängt sich eine Versetzung an einen sehr abgelegenen Ort auf…" schrieb Anton-Andreas Speck einen Aufsatz zu einer Administrativuntersuchung von 1945, die im EPD5 stattfand, dem Eidgenössischen Politischen Departement.1

Den Anlass zur EPD-Untersuchung schildert Speck folgendermassen:2

"Im Herbst 1945 führte die Berner Polizei eine Untersuchung gegen den Inhaber des 'Massage- und Badeinstitutes Schütz' an der Neuengasse in Bern durch, welches 'ein Absteigequartier von Homosexuellen gewesen zu sein scheint (und wo) gelegentlich auch Strichjungen verkuppelt wurden'.

In diese Untersuchung gerieten auch zwei Beamte des EPD, welche das 'Institut' regelmässig frequentierten. Diese Tatsache wiederum veranlasste Ende Oktober 1945 das EPD, eine interne Untersuchung über Homosexuelle im diplomatischen Dienst durchzuführen, um in Zukunft Skandale zu verhindern, die dem guten Ruf der Bundesverwaltung schaden könnten.

Im Rahmen dieser [...] Untersuchung wurden über 40 der Homosexualität verdächtigte Beamte vernommen [...]. Die Untersuchung zeigte, dass gemäss dem neuen schweizerischen Strafgesetz (StGB), das seit dem 1. Januar 1942 in Kraft war, sich nur zwei der Beamten strafbar gemacht hatten. Unter Berufung auf das 'Beamtengesetz' wurden aber auch die anderen Beamten wegen ihrer Homosexualität zumindest ermahnt, versetzt oder gar im Amt zurückversetzt. [...]"

Der damalige Chef des EPD war Bundesrat Max Petitpierre (NE, FDP). Speck fasst seine Berichterstattung wie folgt zusammen:3

"[...] Während die strafrechtlich belangten Beamten aufgrund von Art. 2 und 55 des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten vom 30. Juni 1927 wegen des verlorenen unbescholtenen Leumunds aus dem Beamtenverhältnis fristlos entlassen werden konnten, gestaltete sich die Disziplinierung der nach Strafrecht unbescholtenen homosexuellen Bundesbeamten schwieriger. Erst die bundesrichterliche Auslegung von Art. 24 Abs. 1 des Beamtengesetzes, wonach jede nicht diskret gelebte - sprich irgendwie öffentlich bekannte oder gar spekulierte - homosexuelle Betätigung eine Dienstpflichtverletzung darstelle, bot der Verwaltung die Möglichkeit, das aus ihrer Sicht negative Verhalten von Beamten zu 'korrigieren'. [...]"

So konnten die eingangs erwähnten Sanktionen von Ermahnung, Zurückstufung, Versetzung "an einen sehr abgelegenen Ort" und Androhung der Entlassung diesen Beamten gegenüber vorgenommen werden. Speck schliesst den Abschnitt mit der Feststellung:

"Selbst nicht eindeutig der Homosexualität 'überführte' Beamte wurden ermahnt. [...] Abweichendes Verhalten konnte der Staat mittels Beamtengesetz als 'Disziplinartechnologie' korrigieren."4

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Ernst Ostertag, Oktober 2006

Quellenverweise
1

Der Aufsatz ist Teil eines Buches der Herausgeber Claudia Opitz, Brigitte Studer und Jakob Tanner mit dem Titel "Kriminalisieren, Entkriminalisieren, Normalisieren", welches 2006 erschien

2

Anton-Andreas Speck, Kriminalisieren, Entkriminalisieren, Normalisieren, "Es drängt sich eine Versetzung an einen sehr abgelegenen Ort auf…", Seite 290

3

Anton-Andreas Speck, Kriminalisieren, Entkriminalisieren, Normalisieren, "Es drängt sich eine Versetzung an einen sehr abgelegenen Ort auf…", Seite 299

4

Anton-Andreas Speck, Kriminalisieren, Entkriminalisieren, Normalisieren, "Es drängt sich eine Versetzung an einen sehr abgelegenen Ort auf…", Seite 299 und 300

Anmerkungen
5

heute Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)