1973

Konsolidierung

Arbeitsgruppen

Über das erste Jahr HABS äusserte sich Stephan Miescher:1

"Die neue Basler Schwulengruppe brauchte fast zwei Jahre, um sich zu konsolidieren. [...] Oberstes Entscheidungsgremium war die Vollversammlung4, die sich aus den jeweils anwesenden Mitgliedern zusammensetzte. Als Prinzip galt, die aktiven Mitglieder sollten den Kurs der Organisation bestimmen.

Das erste Jahr war gekennzeichnet von einem starken Mitgliederwechsel und von endlosen Diskussionen, beispielsweise über den Begriff 'schwul' sowie über Ziele und Vorgehen.

Trafen sich in den ersten Monaten fünfzig Schwule zur wöchentlichen Vollversammlung, blieb bis zum Herbst des Gründungsjahres ein Kern von zehn Mitgliedern übrig. Häufige Zusammentreffen im Sommer 1973 liessen erstmals ein 'echtes Gruppengefühl' entstehen."

In den Jahresrückblicken der HA-Gruppen erschien 1973 auch der Bericht eines HABS-Mitglieds.2 Dabei, schon weil der Beitrag in Baseldytsch verfasst wurde, ist dieses "echte Gruppengefühl" fast zu riechen. Übrigens, wie am Schluss gesagt wird, "s'Baseldytsch isch dr gsammtschwyzerische Mundartschrybwys e Bitz wytt apasst, so dass alli nochkömme":

"Aafangs und Ändi Juni hämmer je e Klöpferfescht (fir d'Zircher: Servila braate) uff dr Burgruine Wartebärg ob Muttänz duregfiehrt. Bi beide Veraschtaltige hämmer zum vorus Flugbletter im Miliö verteilt. Bi däre-n-Aggzion het au d'Bolizei emool ygriffe. D'Idee isch e volle-n-Erfolg gsi. S'Bier isch gflosse und d'Klöpfer hänn gschwitzt. S'isch a ganz tolli Schtimmig gsi.

Langsam isch es Zyt worde, e Grundsatzerklärig uszschaffe. Im alltäglige Tramp isch is das nid so rächt glunge. Mir hänn se denn im-e-ne Wuchenändi im Oberbaselbiet zwägbrocht. Zuer glyche Zyt isch in dr Basler Schtudäntezytig kolibri e lengere-n-Artiggel über d'HABS erschine. In dämm Monet hämmer au e baar Diskussione mit de Züüge Jehova's gha."

Weitere Tätigkeiten im Jahr 1973:3

"Im Kolibri [Zeitschrift der Studentenschaft] erscheint ein grosser Artikel zur Gründung der HABS-Unigruppe. Das Thema scheint in den Zeitungen vermehrt Niederschlag zu finden. Auch der Brückenbauer [Migros-Zeitung] befasst sich in einem längeren Artikel mit Homosexualität. Unsere Adresse wird bei dieser Gelegenheit abgedruckt. [...] In einem Weekend in Ormalingen [bei Gelterkinden, BL] wird die erste Grundsatzerklärung ausgearbeitet.

Gegen Mitte des Jahres zeigt sich [...], dass die Interessenunterschiede recht gross sind und in dieser Form nicht mehr gut gearbeitet werden kann. Die HABS teilt sich jetzt in drei verschiedene Gruppen auf

Infogruppe5: sie soll Interessenten und die Öffentlichkeit informieren.

Literaturgruppe: sie wird noch Theoriegruppe genannt, befasst sich mit [...] Büchern zum Thema und macht jeweils zusammenfassende Exposés, die die anderen Mitglieder erhalten

Selbsterfahrungsgruppe: Unter der Leitung von Dr. Lambelet läuft diese Gruppe etwa zwei Jahre.

Um sich nicht aus den Augen zu verlieren [...], trifft man sich am letzten Donnerstag des Monats zur Vollversammlung. Dies hat sich bis heute [1982] so erhalten. [...]

Gegen Herbst bildet sich eine vierte Gruppe, die Gesprächsgruppe. [...] Ende 1973 und anfangs 1974 führen wir Diskussionsabende mit den Leitern des Basler Elternzirkels durch, später auch mit Gruppen von Eltern."

Im Dezember 1973 gab es Wahlen ans Strafgericht. Dazu sandte Peter Thommen6 im Namen der HABS ein Schreiben an jeden der fünf Kandidaten, dem auch die im HAZinfo Nr. 7 erschienene Grundsatzerklärung beigelegt war. In seinem Brief vom Dezember 1973 hiess es unter anderem:

"Sie kandidieren für die Wahl ins Strafgericht. Zu Ihrer Arbeit wird auch gehören, dass Sie sich mit Handlungen und Verhaltensweisen homosexueller Männer auseinandersetzen müssen.

Der homosexuelle Mann ist Aussenseiter in unserer Gesellschaft. Er ist gezwungen, seine Gefühle für das gleiche Geschlecht zu verstecken. Diese Situation hat dazu geführt, dass er ein Doppelleben führen muss. Viele homosexuelle Burschen und Männer bewegen sich sehr unfrei in der Gesellschaft. In solchen Situationen geraten sie in Konflikt mit dem Gesetz.

Die Homosexuellen Arbeitsgruppen arbeiten an der Änderung dieser Verhältnisse. Es würde uns nun interessieren, wie Sie über diesen Problemkreis denken und ob Sie Möglichkeiten sehen, durch Ihre Arbeit im Strafgericht die Situation homosexueller Männer zu verbessern. [...]"

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Ernst Ostertag, Oktober 2006

Quellenverweise
1

Kuno Trüeb und Stephan Miescher, Männergeschichten, Seite 109

2

Ohne Namensnennung, HAZinfo von Anfang 1974, Seite 23

3

habs-info, Nr. 6/1982, Seite 11, Zusammenfassung

Anmerkungen
4

Sie fand in der Anfangszeit wöchentlich, ab Mitte 1973 monatlich statt.

5

Im April 1974 wurden daraus zwei Gruppen, eine Infogruppe, zuständig für das habs-info und die Information nach innen, sowie eine Aktionsgruppe für die Öffentlichkeitsarbeit

6

Peter Thommen, geb. 1950, war nach seinen eigenen Angaben auf den Artikel im focus zur jungen HABS gestossen und bald faktisch zum "Präsidenten" geworden bis zur Vereinsgründung vom 28. März 1974. 1977 gründete er in Basel die schweizweit erste schwule Buchhandlung: "Arcados". Er führt sie noch heute.