1973

Emanzipation

Artikel im Prisma

Im Prisma (Studentenzeitschrift der Hochschule St.Gallen, HSG) konnte die HASG einen dreiseitigen Artikel über sich und ihre Schwierigkeiten mit dem Umfeld platzieren. Die Überschrift hiess:

"Scheinliberalisierung in St. Gallen:
Homosexualität zwischen Unterdrückung und Emanzipation":1

"Kurz nach unserem Gründungsaufruf im Februar-Prisma ging dort die empörte Reaktion eines bekannten Honorarprofessors ein, der sein persönliches Prisma Abonnement kündigte mit der Begründung, dass er an einem Mitteilungsblatt für Homosexuelle nicht interessiert sei: In jenem Prisma waren, wohl erstmals in der Geschichte des Prisma überhaupt, 10 von 62 Seiten dem Thema Homosexualität gewidmet.

[...] Die Schwelle der gesellschaftlichen Widersprüche zu übersteigen braucht persönliches Engagement, braucht Mut und Selbstüberwindung. Wir nennen dies normalerweise 'Emanzipation'. Emanzipation meint somit, seine eigenen Bedürfnisse bejahen, sich nicht immer von gesellschaftlichen Normen einengen zu lassen, meint, sich selber akzeptieren zu können und letztlich [...] diese Erkenntnisse in persönliches Handeln umzusetzen. [...]

Emanzipation des Homosexuellen soll bei uns nicht im Getto geschehen. Nicht zuletzt deshalb haben wir hier versucht, den Horizont etwas zu weiten. Emanzipieren wollen wir uns, indem wir uns mit der Gesellschaft auseinandersetzen und unserer Umwelt erklären, um was es geht, und indem wir die HASG für jedermann offen halten, für Student oder Nicht-Student, für Schwule oder Nicht-Schwule, für Mann oder Frau."

Im HAZinfo 8 vom Januar 1974 berichteten die Info-Verantwortlichen der HASG über die zweite Hälfte des ersten Vereinsjahres.2 Innerlich war die Gruppe etwas stärker geworden, wenn auch noch nicht eigentlich konsolidiert, und äusserlich hatte sich der kalte Wind noch nicht gelegt:

"[...] Eine relativ kleine Gruppe von Aktiven, die regelmässig zum wöchentlichen Treffen in einem Restaurant erscheint, hat sich immer wieder mit den gleichen Problemen auseinander zu setzen: Wie kommen wir zu neuen Leuten (die 500 am Anfang des Semesters an der Hochschule verteilten Flugblätter blieben ohne Reaktion), wie aktivieren wir die Leute, die unregelmässig erscheinen, wie kommen wir zu einem Lokal. [...] Wir haben festgestellt, dass sich nun in der St. Galler Szene die HASG herumgesprochen hat. Dort allerdings finden wir dieselben Reaktionen wie überall sonst: Angst vor Engagement, Angst vor einer Gruppe, politische Vorurteile. [...]

Nach neun Monaten erhielten wir endlich - kurz vor Weihnachten - die Antwort des Rektorates [...] auf unser Gesuch um Anerkennung der Statuten. Es wurden [...] Auflagen gemacht, die wir nicht akzeptieren wollen und können. [...]:

  • Die Abkürzung HASG unterscheide sich zu wenig deutlich von [...] HSG und sei deshalb nicht mehr zu verwenden.
  • Die Statuten müssten einen Passus enthalten, der auf die einschlägigen StGB Bestimmungen hinweise (Schutz der Minderjährigen).
  • Ein Appell an unsere Toleranz gegenüber jenen, die die Gründung der HASG ablehnen, so, wie wir von anderen auch Toleranz verlangen. [...]
  • 'Bei der Tätigkeit Ihres Vereins ist alles zu vermeiden, was in der breiten Öffentlichkeit als Herausforderung aufgefasst werden könnte. Die Hochschulleitung respektiert die Vereinsfreiheit, würde aber nicht zögern, einzugreifen, falls die Tätigkeit Ihres Vereins zu begründeten Klagen ausserhalb des akademischen Bereiches Anlass geben würde bzw. sich für die Hochschule nachteilig erweisen würde.'

In der ersten Sitzung im neuen Jahr wird die HASG über ihre Stellungnahme zu diesem Brief zu diskutieren haben."

Diese Stellungnahme - oder Unterlagen dazu - konnte bis jetzt nicht gefunden werden. Zeitzeuge René Hornung ergänzte:3

"Im Streit um den Namen gab die Gruppe nicht nach, mit Verweis auf HAZ, HABS und HAB."

Die Geschichte der HASG beweist, dass der Name bestehen blieb, dass keine Änderung der Statuten noch ein Appell im geforderten Sinne erfolgte und dass die HSG nie einschritt. Toleranz anmahnen hingegen ist die typische Reaktion jeder Mehrheit gegenüber allen gewohnheitsmässig von ihr unterdrückten Minderheiten, sobald diese die "Untoleranz" begehen, sich aufzulehnen und gleiche Rechte einzufordern.

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Ernst Ostertag, November 2006

Quellenverweise
1

Prisma, November 1973, Seite 41 ff

2

HAZinfo, Nr. 8/1974

3

In einer Mitteilung an Ernst Ostertag vom 9. November 2006