1977/1978

Forderung an das SF

Ein Fernseh-Thema!

Das Freundespaar Urs Tremp und B.A. (anonymisiert) liess sich mutig mit dem Schweizer Fernsehen ein und verlangte die Berücksichtigung der homosexuellen Minderheit. Die beiden HASG-Mitglieder schrieben einen Brief unter dem Titel "Reaktionen auf Alexander Zieglers Film 'Die Konsequenz' " und sandten ihn, datiert vom 11. November 1977, an die Direktion des Schweizer Fernsehens. Einige Passagen daraus (Originalkopie im Schwulenarchiv Schweiz, sas): 

"In Anbetracht unserer kritischen Situation in St. Gallen und als Mitglieder der Homosexuellen Arbeitsgruppe St. Gallen, hat der Film 'Die Konsequenz' von Alexander Ziegler, der am letzten Dienstag im ARD ausgestrahlt wurde, unsere Notwendigkeit als Gruppe bestätigt. [...]

Persönlich kamen wir ins Gespräch mit einer Mutter, die durch ihre Söhne mit dem Problem konfrontiert wurde. Zu Zieglers Film meinte sie: 'Ich bin einfach fassungslos über unseren mittelalterlichen Strafvollzug. Unsere Gesellschaft ist wirklich grausam. Schlimm genug, dass erwachsene Homosexuelle nach aussen ihre Gefühle streng verbergen müssen, um von den 'lieben Mitmenschen' nicht fertig gemacht zu werden; geradezu grotesk ist es aber, für wirkliche Zuneigung zu einem Jugendlichen hart verurteilt und schlimmer als ein Krimineller behandelt zu werden, während manche Eltern ihre Kinder zu Tode quälen und selbst dann noch mit einem relativ milden Urteil zu rechen haben, durch verminderte Zurechnungsfähigkeit zum Beispiel… Wieso hat übrigens ein 17-jähriger, der genau fühlt, dass er 'anders' geartet ist, kein Recht auf Liebe?1 Warum kann man das nicht respektieren wie bei den 'Normalen'?' [...]

Mit welchem Recht bevormundet das Schweizer Fernsehen seine Zuschauer und verweigert eine Ausstrahlung des Films, ja sogar eine Ko-Produktion mit dem deutschen Fernsehen? [...] Zudem ist der Film authentischer Bericht, dessen Vorgang sich in der Schweiz abspielte. [...]

Zu hoffen bleibt nur, dass sich das Schweizer Fernsehen auf die Notwendigkeit einer Ausstrahlung von 'Konsequenz' besinnt und damit hilft, Missstände in unserer hochgepriesenen freiheitlichen Schweiz abzuschaffen. [...]"

In einem anderen Zusammenhang - das Fernsehen hatte einen Film, "Der Alte", ausgestrahlt, in dem es unter anderem um einen kriminellen Homosexuellen ging - schrieb B.A. am 6. September 1978 nochmals einen Brief ans Schweizer Fernsehen:

"Unser Brief vom 11.11.77 erschien auch in einigen Tageszeitungen und vom Schweizer Fernsehen erhielten wir eine mehr oder weniger befriedigende Antwort. Dort wurden wir vertröstet, dass ja demnächst eine Telearena-Sendung über Homosexualität ausgestrahlt werden solle, die dann auch mit 'Schreie und Geflüster' über die Bühne lief. Sicher gab es einige Scherben, doch zeigte die enorm grosse Einschaltquote, wie notwendig solche Beiträge sind. Nun, das Schweizer Fernsehen hat einen Beitrag gemacht und scheinbar glaubt es, damit genug in dieser Sache getan zu haben. [...]

Ich lebe schon seit vier Jahren mit meinem Freund zusammen, [...]. Wir sind glücklich und was will man noch mehr? Hätte nicht jeder Mensch ein Recht darauf, glücklich zu sein? Warum zeigt man die Homosexualität nicht einmal von dieser Seite? Warum muss man immer wieder Verbrechen und Wahnsinn damit verbinden? Das ist es, was mich traurig macht, nicht dass ich schwul bin, sondern dass man immer wieder die Arbeit jener, die für die Menschenrechte einstehen, missachtet und untergräbt. [...]"

Nach oben

Ernst Ostertag, November 2006

Anmerkungen
1

Das Schutzalter bei Frauen (16 Jahre) und bei schwulen Männern (20 Jahre) hatten die seinerzeitigen Gesetzgeber 1931 im StGB festgeschrieben, weil die "Reife zur sexuellen Selbstbestimmung" bei Männern erst mit 20 erreicht sei, nämlich dann, wenn sie militärdienstpflichtig werden. Dieser Passus wurde erst 1992 aufgehoben.