1973

Gründung

Offen für alle

Am 15. März 1973 fand die Gründungsversammlung statt, an der die Statuten des Vereins "Homosexuelle Arbeitsgruppen St. Gallen" beschlossen wurden. Zudem gab es Punkte eines Arbeits- und Informationspapiers "Überlegungen zur Gründung der HASG" zu besprechen. In einem Vorentwurf der Statuten hiess es noch: "Mitglied kann jeder immatrikulierte Student der HSG sein." Er wurde fallengelassen, sodass von Anfang an alle, auch Nichtstudierende, willkommen waren. René Hornung:1

"Die HASG hat sich in der Folge nicht als studentische Organisation etabliert, nur die Anfänge waren studentisch, nachher öffnete man sich rasch. Nach wenigen Monaten bestand die Mehrheit der Aktiven nicht aus Studenten."

Das Arbeitspapier "Überlegungen" ist nur als Entwurf einer Einzelperson (vermutlich Urs Tremp) erhalten. Es ist daher subjektiv und, wenn überhaupt, kaum in dieser Form verabschiedet worden. Aber es erhellt die Grundstimmung unter schwulen Studenten der Zeit und zeigt Beobachtungen und Analysen des Verfassers und wohl auch der anderen Gründer sowie Strategien zur Änderung der Lage. Vermutlich entstand es beim Zusammenfassen und Verarbeiten der am Treffen mit Vertretern der HAZ vom 1. März 1973 diskutierten Themen:

"Ausgehend von den Erfahrungen einer zum Teil falschen linken studentischen Hochschulpolitik, die ihren wesentlichsten Aspekt - die Politisierung und Kontaktaufnahme mit der Basis, das Eingehen auf die Bedürfnisse der Betroffenen - leider allzu oft aus den Augen verliert, ist meines Erachtens folgender Weg zur Organisierung und Aktivierung von Homosexuellen einzuschlagen:

  1. KONFRONTATION der zum grössten Teil unpolitischen, wenn nicht sogar reaktionären Homosexuellen mit ihrer Situation und ihren Verhaltensweisen*), die aus der gesellschaftlichen Unterdrückung resultieren
  2. [...] Notwendigkeit einer ORGANISIERUNG, um die materiellen Bedürfnisse gemeinsam in Angriff nehmen zu können (Wohnungen, Clubs, Treffs, Kontakte, Freundschaften usw.)
  3. Volle AUSNUTZUNG der bereits errungenen gesellschaftlichen FREIRÄUME. An den Grenzen dieser Freiräume wird es immer zu Auseinandersetzungen kommen, woraus folgt: diese Auseinandersetzungen sind als EMANZIPATION der diskriminierten Gruppe, der Schwulen, zu führen [...]
  4. [...] Wir müssen Antwort haben auf folgende Fragen:
    1. Warum werden wir von dieser Gesellschaft geächtet?
    2. Frage nach der bürgerlichen Moral [...]

     *) Verhaltensweisen von Homosexuellen [...]:

  • extreme Anpassung an Situationen und Personen
  • Anonymität nach aussen und vielfach auch in der eigenen Subkultur
  • Konflikte mit der eignen Person (schlechtes Gewissen, unnormal zu sein)
  • weitgehende Bindungsunfähigkeit [...]
  • krankhafte Versuche zu beweisen, doch 'normal' sein zu können (meist misslingende oder nicht zufrieden stellende Beischlafversuche mit Personen des anderen Geschlechts)
  • unbefriedigende, meist frustrierende homosexuelle Kontakte in der Subkultur (öffentliche Toiletten, Bars, Parks, Bahnhöfe usw.)"

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Ernst Ostertag, November 2006 und Mai 2014

Quellenverweise
1

In einer Mitteilung an Ernst Ostertag vom 9. November 2006