1974
Gleichstellung fordern!
HAZ-Informationsabend
Zu diesem "für Homo- und Heterosexuelle" offenen Informationsanlass vom 12. November 1974 publizierte die HAZ ein Flugblatt und Rundschreiben, dessen Anfangspassagen einen heutigen Leser betroffen machen, weil sie - fast vier Jahrzehnte später - noch immer aktuell sind. Dies zumindest in Bezug auf den Coming-out-Prozess, den man damals noch nicht so thematisiert hatte wie heute und daher auch nicht klar benennen konnte:
"Hast du dir schon einmal überlegt, was es für ein Mädchen bedeutet, wenn es merkt, dass es sich sexuell mehr zu Frauen hingezogen fühlt, oder was es für einen Jungen bedeutet, wenn er entdeckt, dass er eigentlich eher auf Männer als auf Frauen steht? Er könnte sich in einen ebenfalls homosexuellen Mann verlieben, sie könnten zärtlich zueinander sein, miteinander schlafen. Ebenso eine Frau mit einer Frau:
SCHWULSEIN KÖNNTE SCHÖN SEIN!
Aber die Wirklichkeit sieht vorläufig noch anders aus: Wenn jemand merkt, dass er homosexuell sein könnte, erschrickt er in den meisten Fällen und beginnt einen ganz bewussten Kampf mit sich selber.
Seine Umwelt, Familie und Bekanntenkreis erwarten von ihm, dass er eine Freundin hat, dass er einmal heiraten und Kinder haben wird. [...] Die Angst vor sozialen Sanktionen der Umwelt (Ächtung in Familien- und Bekanntenkreis, Verlust der Wohnung, Gefährdung des Arbeitsplatzes und der Karriere) zwingt ihn, seine Homosexualität zu verstecken. Er bricht alte Kontakte ab, wagt es aber nicht, Kontakte im schwulen Milieu zu knüpfen, wenn er überhaupt weiss, wo Schwule anzutreffen sind, und gerät so in eine Isolation.
Das müsste nicht so sein: mindestens vier bis zehn Prozent aller Frauen und Männer hätten es leichter, wenn ihnen bereits in der Erziehung Homo- und Heterosexualität als gleichwertige sexuelle Verhaltensweisen dargestellt worden wären und wenn sie als sozial gleichberechtigte Menschen ohne Angst vor Schikanen oder Benachteiligung ihre Homosexualität integriert im Alltag ausleben könnten und dadurch bei der Partnersuche nicht auf düstere anonyme Treffpunkte angewiesen wären.
[...] Bis die Forderung nach Gleichbewertung von Homosexualität und Gleichberechtigung von Homosexuellen erfüllt sind, braucht es noch sehr viel Arbeit, gesellschaftsbezogene Arbeit, die nur eine Gruppe, eine Organisation von Homosexuellen leisten kann.
Die HAZ [...] sind eine solche Organisation. Sie bestehen nun seit 3½ Jahren und zählen mehr als 300 Mitglieder, Studenten und Nichtstudenten, Jüngere und Ältere.
Ziel unserer Arbeit ist die Integration homosexuellen Verhaltens und homosexueller Beziehungen im täglichen Leben. [...]"
Ernst Ostertag, Juli 2006