Erfolg

...für "schwul"

Erstmals in einer Tageszeitung erschien "schwul" am 27. September 1972 in der Zürcher AZ (Arbeiter-Zeitung). Dies in einem Bericht über die HAZ, geschrieben von Sibylle Herzfeld: "Homosexualität ist keine Perversion. Nachrichten über eine nach wie vor diskriminierte Minderheit". Die einleitende Passage hiess:

"Man nennt sie beflügelt von wissenschaftlicher Distanz Homosexuelle, Homophile oder Homoerotiker. Im weniger zimperlichen Jargon spricht man von Schwulen, Warmen oder Tunten. Die Mitglieder der homosexuellen Arbeitsgruppen (HAZ) bezeichnen sich trotz oder gerade wegen des pejorativen Inhalts des Wortes als Schwule; sie wollen sich nicht hinter feinen Vokabeln verstecken, um so als Stein des Anstosses eines sich nur vordergründig liberal gebenden Bürgertums an Schrecken zu verlieren, sie treten für ihr Recht ein, offen und undiskriminiert als Homosexuelle leben zu können."

Im Sommer 1974 erschien der neue Begriff auch im Zürcher Tages-Anzeiger. Verwendet wurde er von HAZ-Mitgliedern in einem Interview mit Eva Caflisch:

"Wenn wir das Wort 'schwul' gebrauchen, zeigen wir jedem, dass wir stolz sind auf unsere Homosexualität, dass Sexualität nichts Schlechtes ist; dass wir nicht länger bereit sind, zu kriechen und uns zu verstecken; dass es uns scheissegal ist, ob sie uns beschimpfen oder belächeln [...]. Wir brechen jedem Wortangriff die Spitze, indem wir das Schlimmste, was uns einer sagen kann, selbst vorausnehmen [...]. Wir sind stolz auf unser Schwulsein [...], Schwulsein macht Spass!"1

Im ersten HAB-Info der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern stand 1975 eine Erklärung von "pius" mit dem Titel "Warum wir das Wort 'schwul' gebrauchen!":2

"Schwul ist ein Schimpfwort. [...] Wer schwul ist, soll sich ducken, kriechen, soll Bücklinge machen. Hinter diesen Vorstellungen steckt die verlogene, unausgegorene Sexualmoral unserer Gesellschaft: Sexualität ist etwas Schlechtes. Sexualität dient vor allem einmal der Fortpflanzung. [...] Dass Sexualität Spass macht, darf nicht sein. [...]

Sexualität der Kinder oder die Sexualität zwischen Männern oder zwischen Frauen - das sind Dinge, die es eigentlich gar nicht geben sollte. Darum soll man ja von ihnen auch nicht sprechen. [...]

Wenn wir das Wort schwul ablehnen, wie es viele 'Homophile' tun, dann machen wir genau das, was die Gesellschaft von uns erwartet: [...] wir müssen uns schämen, so zu sein [...]. Wir könnten aber auch anderer Meinung sein: Wenn wir das Wort schwul gebrauchen, zeigen wir jedem, dass wir stolz sind auf unsere Homosexualität [...]. Wir helfen mit, dieses [Wort] allmählich mit einem neuen, positiven, nicht mehr verächtlichen Inhalt zu füllen. [...]"

Und "schwul" wurde normal. Ein Erfolg. Heute wirkt das Wort nicht mehr diffamierend - ausser unter pubertierenden Schülern und "Erwachsenen", die in diesem Stadium stecken geblieben sind.

Selbst die NZZ setzte einem Artikel zur Eröffnung der Ausstellung "Gay Chic" in Zürich 2006 zwei "schwule" Sätze voran, die zugleich Ironie über den Ausstellungstitel andeuteten:3

"Der Ausdruck 'schwul' mag auf dem Pausenhof noch als Schimpfwort gelten, in der Welt der Erwachsenen steht er längst synonym für 'progressiv', 'kultiviert', 'modisch'. Schwul ist chic, und so heisst auch die Ausstellung zum Thema im Museum für Gestaltung: 'Gay Chic'."

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Ernst Ostertag, Juli 2006 und Juni 2015 (laut Bericht von Rolf Thalmann zu AZ Zürich)

Quellenverweise
1

Zitiert nach Erasmus Walser, Unentwegt emanzipatorisch, Bern 1992, Seite 8

2

HAB-Info, Nr. 1/1975

3

Urs Steiner, Neue Zürcher Zeitung, 29./30. April 2006, Seite 58