Fanal zur Götterdämmerung
Horrorvorstellungen über Homosexuelle
Bereits am 1. November 1969 brachte die Zürcher Tageszeitung Die TAT den Leserbrief "eines Heterosexuellen", N.B. aus Adliswil, mit dem deutlichen Hinweis auf eine sich anbahnende grundlegende und notwendige Veränderung der Gesellschaft. Der Brief erschien unter dem Titel:
"Horrorvorstellungen über Homosexuelle
Wir sind Lebensidioten, die wir Kinder zeugen, dazu durch Staat und Kirche legitimiert, und diese Kinder einem konfektionierten Erziehungssystem überantworten, das Abweichungen (biologische) in der Entwicklungsphase nicht zu integrieren vermag, sondern mit dem negativen Prädikat 'asozial' versieht.
Wir haben heute die Möglichkeit, auf Grund wissenschaftlicher Arbeiten unser unfundiertes und durch Abstrusitäten verdorbenes Urteil über die Homosexualität zu korrigieren. [...] Man schämt sich des 'schwulen' Sohnes oder der Tochter, denn wehe, wenn die anderen 'Lunte riechen'. Aus Hilflosigkeit, Uneinsichtigkeit, Ahnungslosigkeit und Prüderie wird jene grosse und auffallende Unsicherheit, werden unabsehbare charakterliche Fehlentwicklungen bei vielen homosexuellen Menschen verschuldet.
Die Hoffnung auf den Vollzug einer Neuorientierung und Schärfung des Gewissens ist unsere rebellische Jugend. Sie fordert heute einen neuen Status. Sie ist gefährlich vital und im Vortrag ihrer Ansprüche von unerhörter Vehemenz. Es gibt Zeichen einer Götterdämmerung, jedenfalls arbeiten die Uhren nicht für eine Konsolidierung einer kleinbürgerlichen Norm."
Ernst Ostertag, Mai 2006