Reaktionen

Schon die zweite Ausgabe des jungen hey1 reagierte auf diesen Film unter dem Titel "Homosexualität im Film - Wer ist pervers?" und zitierte aus der National-Zeitung, Basel:

"Wenn auch der §175 in der Bundesrepublik [seit 1969] aufgehoben ist, bleibt doch der Satz 'Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt' unverändert sagbar. So setzt ihn denn ein Angehöriger des 'Anderen Films', Rosa von Praunheim, als Titel über seinen ersten Langfilm [...].

Eine Gesellschaft, der die Verpönung der Homosexualität nur selten fragwürdig war, [...] wird ihr noch lange Hass, Ekel, Misstrauen und im besten Falle jene Toleranz entgegenbringen, die der freisinnige Bürger auch dem Schwarzen entgegenbringt - besonders gern dann, wenn er weder Töchter noch Söhne hat, die eines Tages auf den Gedanken kommen könnten, diese Toleranz zu strapazieren.

Auf der anderen Seite ist es nicht anders. Eine Gruppe, die nur weiss, dass sie ewig im Ghetto gelebt hat, kann sich nicht von heute auf morgen daran gewöhnen, dass sie nicht mehr ummauert ist.

Rosa von Praunheim überschaut diese Situation. Wenn etwas gewiss gut ist an diesem Film, dann ist es die absolute Unbestechlichkeit dieses Regisseurs, der nichts beschönigt, nichts sentimentalisiert, nichts feiert, sondern Homoerotik als Tatsache hinnimmt, ihre vielfältigen Äusserungen aber blosslegt als Varianten der Selbstaufgabe vor einer Gesellschaft, die sie verfolgte. Da zumindest die juristische Verfolgung jetzt nicht mehr möglich ist, will der Film [...] das Selbstbewusstsein der Gruppe stärken, ja, überhaupt erst wecken. [...]

Es kommt Praunheim nicht nur darauf an, den Homosexuellen gegenüber dem 'normalen Bürger' zu emanzipieren, sondern darauf, beide Bürger auf den Kehricht der Geschichte zu fegen: den 'normalen' wie den homosexuellen. Der Film will nicht nur die homosexuelle Emanzipation, er will auch die totale Revolution. Nicht umsonst fällt im letzten Bild die Vokabel 'Black Power'. [...]"

Ernst Ostertag, Juli 2006

Quellenverweise
1

hey, März 1972, Seite 2