1979/1980

Fundamentalismus

Katholische Kirche und Homosexualität

Am neuen Papst Johannes Paul II entzündete sich wieder neu und verstärkt das leidige Thema des Verhältnisses der Kirche, vor allem der katholischen, zur Homosexualität.

War in den 60er Jahren Johannes XXIII und das von ihm einberufene Konzil (zweites Vatikanum) zu einem leuchtenden Hoffnungsträger geworden für Wandel, Erneuerung, lebendige Ökumene und vor allem für eine menschlich-offene Kirche, in der man lebendig-christliche Heimat finden konnte, so leitete sein Nachfolger, Paul VI, eine unverkennbare Rückwendung ein. Dies vor allem in Beziehung zur strikt traditionskonform erlaubten Ausübung der Sexualität und der totalen Ächtung homosexueller Formen, sodass homosexuelle Christen jenen Platz innerhalb der Kirche, für den sie sich als christliche Mitbrüder einsetzten, nicht mehr vorfanden.

Heftige Proteste und Kirchenaustritte der im wörtlichen Sinn Enttäuschten blieben nicht aus (s. hey 1976: Päpste).

Als Beispiel mögen die im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz 1979 herausgegebenen "Richtlinien für die Seelsorge an homophilen Menschen" dienen. Ohne vatikanischen Einfluss wären sie kaum entstanden. Auf Seite 8 dieser "Richtlinien" hiess es im gewundenen Originaltext:

"Gerade wenn Selbstbeherrschung und Sublimierung im genital sexuellen Bereich ein hohes Mass an Verzicht und asketischer Nachfolge Christi verlangen, bedürfen diese Momente zur Vermeidung von Verhärtungen und Verkrampfungen der besonderen Aufmerksamkeit [...]."

Und auf Seite 7:

"Dabei muss der Seelsorger sich bewusst bleiben, dass gewisse Fixierungen mit Argumenten nur schwer zu brechen sind und entsprechend viel Geduld und Einfühlungsvermögen erfordern."1

Homosexuelle sollten also einfühlungsvoll und mit Geduld zu "asketischer Nachfolge Christi" gebracht werden und dazu waren ihre sexuellen Fixierungen "zu brechen". Denn diese Liebe sexuell auszuleben stand der "göttlichen Schöpfungsordnung" entgegen und galt als "ungeordnet" oder "defizitär".

(Diese Thesen und Bezeichnungen verwendeten damals auch die reformierten und evangelisch-lutherischen Kirchen.) Jede auch die Sexualität einbeziehende gleichgeschlechtliche Partnerschaft war "unchristlich" und sündhaft und musste von der Kirche abgelehnt und verurteilt werden.

Nun war Johannes Paul II seit 1978 an der Macht. Und er sollte lange bleiben und die Auswahl zur Nachfolge so beeinflussen, dass ein nächster Papst wieder zu jenen gehören würde, die eisige Ablehnung und starre Dogmatik fortsetzen. Diese dreissig und mehr Jahre Zurückweisung und propagierte pathologische Aufspaltung von Sexualität und Mensch schlugen sich in den Printmedien der weltweiten Gay Community als konstant fortgesetztes Abwenden des gesunden und gesund bleiben wollenden Homosexuellen von der Kirche nieder und werden sich wohl weiter fortsetzen.

Der in hey 2/1978 erwähnte Leserbrief und der Buddhismus-Beitrag in 9/1978 standen im Zusammenhang mit dieser Kritik (s. hey 1978, letzter Abschnitt). Sie gingen aber bewusst weiter in Richtung Hinterfragung und Ablehnung der traditionellen Positionen des Christentums in Bezug auf dessen Ansprüche an den Menschen, der nach einem bestimmten Glauben leben und in einer bestimmten Moral stehen müsse.

Sie fragten nach menschengerechteren und mit den Erkenntnissen der Natur- und Humanwissenschaften übereinstimmenden Formen der Einsicht in die Existenz. Dabei wurde die naheliegende Alternative Buddhismus als praktischer Weg auch des Loslassen- und Freiwerden-Könnens aufgezeigt. Das traditionelle Christentum bot Homosexuellen keine Heimat. Es akzeptierte sie nie und liess sie allein mit ihren Fragen nach dem Ja zu sich selbst, nach dem Sinn und Ziel ihrer Form von Liebe und Existenz.

Unsere begonnene und unter allen Umständen durchzusetzende Emanzipation erkannte in diesem Papst einen neuen, gefährlichen Feind. Denn alle, die aktiv um ihre Rechte kämpften, waren sich weltweit darin einig, dass der Fundamentalismus seine menschenverachtende Fratze wieder zu erheben begann. Die Lage war ernst und bereitete uns mehrfach Gebrannten grosse Sorge, weil wir aus unserer Geschichte wussten, dass wir stets die ersten Opfer des Fundamentalismus waren und es wieder sein werden.

Denn Fundamentalisten anerkennen nur ihre eigene Ideologie - egal ob diese religiöser, sozialer und/oder politischer Art ist. Zwangsweise müssen sie die von ihnen selbst definierten "moralischen" oder sonstigen Massstäbe allen Menschen in ihrem Machtbereich überstülpen. Sie müssen anders Denkende, anders Handelnde oder anders Glaubende entweder bekehren oder bekämpfen. Mit ihnen diskutieren und sie ernst nehmen, das können Fundamentalisten nie.

Daher ist des Fundamentalismus dunkler Schattenbruder - der zu ihm gehört und ihm auf dem Fusse folgt - der psychische und physische Terror des Verdammens, das Schüren von Ängsten, das Ausgrenzen und schliesslich das Vernichten.

Nur 40 Jahre zuvor hatten Faschisten und Nazis genau diese Mechanismen in Europa grauenhaft vorgeführt. Zu ihren verstümmelten Opfern zählten Zehntausende von uns. Keinesfalls durften Fundamentalismen hier oder anderswo wieder aktiv werden oder gar Richtlinien setzen.

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Ernst Ostertag, April 2007

Weiterführende Links intern

hey 1976: Päpste

hey 1978

Quellenverweise
1

Zitate nach anderschume aktuell Nr. 7, Sommer 1980, letzte Seite