1989

Bilanz des Präsidenten

Marcel Ulmanns Rückblick

Seinem letzten Jahresbericht fügte Marcel Ulmann einen Rückblick auf die Zeit als Präsident der SOH bei:

"Ich habe die Leitung [...] in den späten 70er Jahren zu einem Zeitpunkt übernommen, als die SOH nur aus einer Zeitschrift und einer Administration bestand. Mein Bestreben war es immer, aus der SOH eine Organisation zu machen, welche in der Schweiz wieder einen guten Namen hat und als Gegengewicht zu den politisch starken Organisationen der HACH [...] wirken kann.

In meinem Gepäck aus Dänemark, wo ich mehrere Jahre im Vorstand war, hatte ich Ideen wie den Christopher Street Tag und internationale Zusammenarbeit im Rahmen der ILGA [...] mitgebracht. Diese Ideen sind inzwischen Wirklichkeit geworden.

Ideell sehe ich mich in einer Linie, welche von den frühen Anfängen unter Karl Meier / Rolf und dem KREIS über den Club 68 zur SOH und meinem Vorbild [...], Robert Abraham, bis zu meinen Nachfolgern geht, damit wir 1991 als älteste Organisation der Schweiz das 50-jährige Jubiläum der Schwulenbewegung in unserem Land und gleichzeitig das 20-jährige Jubiläum der SOH feiern können.

Nicht alles, was ich erhofft hatte, konnte verwirklicht werden. Die gesetzliche Diskrimination ist noch nicht beseitigt. [...] Bei AIDS konnten wir in enger Zusammenarbeit mit den anderen Organisationen die Vermeidung von bayerischen Zuständen erreichen und mit dem aufgeschlossenen Bundesamt für Gesundheit einen Konsensus bewirken, wie er nur in wenigen Ländern verwirklicht wurde. Ein Antidiskriminierungsgesetz liegt noch in weiter Ferne, und die Träume einer gleichberechtigten schwulen Partnerschaft harren ebenfalls noch der Verwirklichung. [...]"

In den 14 Jahren von 1976 bis 1990 war Marcel Ulmann (Lebensdaten: 3. November 1936 bis 6. Oktober 2016) die treibende Kraft der SOH, ein kluger Realpolitiker mit visionären Zielen, die er nie aus den Augen verlor, auch wenn die Realität bisweilen deprimierend war. Sein persönlicher Einsatz war beispiellos. Immer blieb er geduldig und bescheiden; immer blieb er konziliant, aber bestimmt; nie verlor er den Blick auf die grossen Ziele.

Schon seine unmittelbaren Nachfolger, vor allem aber die später Nachgekommenen erreichten und verwirklichten viele von Marcels Visionen: wirksamere nationale Organisationen wie Pink Cross und Network, zwar (noch) nicht das Schwule Museum, wohl aber ein funktionierendes und gut integriertes Schwulenarchiv, Antidiskriminierung zumindest in der Bundesverfassung, eine Ausstellung zur nationalen Schwulengeschichte, gleichberechtigte Partnerschaft. In seiner Laudatio sagte Beat Meyenberg an der GV u.a.:

"Marcel ist es nie um persönliche Profilierung gegangen. Die Interessen der Schwulen zu wahren - dieses Ziel stand stets zuvorderst in seiner unermüdlichen Arbeit. Dafür danken wir dir. Der Name Marcel Ulmann ist Teil der Schwulengeschichte der Schweiz geworden."

Nach oben

Ernst Ostertag, April 2007