1985

Fragen, Diskussion

In ihrer Stellungnahme, veröffentlicht im Anderschume HACH-Info 2/1985, berichteten die HAB (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern) über die Ergebnisse eines Wochenend-Treffens, an dem es um offenen Austausch von Befindlichkeiten, Ängsten und Ansätzen zu sinnvollem Umgang mit der Aids-Bedrohung ging:

"An einem HAB-Wochenende haben wir versucht, persönliches Erleben in den Mittelpunkt zu stellen. Es gab mehr Fragen als Antworten:

  • Sage ich einem anderen Schwulen, den ich gerade kennen lerne (im Park, in der Sauna, in der Schwulengruppe usw.), dass ich Angst vor Aids habe, wenn ich mich fürchte?
  • Habe ich überhaupt Angst vor Aids?
  • Wenn ich es sage, wie beginne ich davon zu reden?
  • Verdränge ich die Tatsache, dass Aids auch für mich zur Realität werden kann?
  • Was lösten in mir diese immer wiederkehrenden Berichte über Aids aus?
  • Beginne ich in jedem anderen Schwulen einen möglichen 'Aids-Verbreiter' zu sehen? Und wie reagiere ich darauf: mich zu Hause einschliessen, nur noch mit Gummi, 'jetzt erst recht'?
  • Entwickle ich Schuldgefühle, wenn ich keine besonderen Verhaltensänderungen vornehme?
  • Distanziere ich mich bewusst oder unbewusst von anderen Schwulen, z.B. von solchen, die ich als besonders promisk einstufe?
  • Was bewirkt diese vielleicht vorhandene Distanzierung?
  • Wie wirkt sie auf die Schwulenbewegung zurück?
  • Was bedeutet es für mich, an Aids zu sterben; was bedeutet [...] die Realität meiner Sterblichkeit überhaupt für mein Leben?
  • Bin ich stark genug, diese Belastung ertragen zu können, zu wollen? Woher nehme ich diese Kraft?
  • Ist Aids nur ein 'Wie mache ich Sex'-Thema oder ein persönliches 'Leben oder Nichtleben'-Thema?
  • Wieso steigt die heterosexuelle Erziehung wie ein Mahnfinger wieder in uns hoch und aktiviert Schuldgefühle und Selbsthass?
  • Wie wirkt sich Aids-Angst auf Schwule aus:
    • die schon lange schwul leben?
    • die gerade beginnen, ihr Schwulsein zu (er)leben?

Wir wollen mit diesen Fragen und Feststellungen eine Diskussion in Gang bringen, die darüber hinausgeht, Aids durch sex-technokratische Anweisungen zu beantworten. Eine solche geradlinig-abgespaltene 'Lösung' nähert sich gefährlich der HERRschenden Logik, die beispielsweise das Waldsterben mit Borkenkäferfallen und Katalysatoren bekämpfen will.

Unsere Sexualität lässt sich nicht auf Praktiken reduzieren!!! Ängste sind dann am stärksten, wenn sie unausgesprochen bleiben. Das Schweigen unter uns ist - neben den äusseren Feinden: der Hetero-Hetze und der Krankheit - unser ärgster Feind. Aus dem gemeinsamen Benennen dieser Fragen und aus dem gemeinsamen Suchen nach Antworten (so unterschiedlich sie auch sein mögen), entsteht Nähe, wächst spürbare Verbundenheit. Dies haben wir in unseren ersten Gesprächen erfahren. Das Brechen des Schweigens ist die Chance, unsere Lähmungen zu überwinden und neue Kräfte entstehen zu lassen [...].

Die Diskussionen führten uns auch über Aids hinaus: Auf das Infragestellen unserer (oft starren) Beziehungs-/Nicht-Beziehungsformen, auf das Wie und Wohin unseres Lebens als Schwule und unseres Widerstandes als organisierte Schwule. [...]"

Noch einmal Roger Staub zum zweiten Flugblatt "MACHsch au mit?":

"Um den Schwulen die Wahl eines Präservativs zu erleichtern, bietet die Aids-Gruppe einem bekannten Schweizer Präservativhersteller Inserateraum im Flugblatt an. Der Hersteller akzeptiert dieses Angebot und 'bezahlt' mit der Lieferung von 5'000 Mustern dieses Präservativs, das, bedruckt mit dem Aufruf 'Nur wasserlösliche Gleitmittel verwenden', mit dem Flugblatt in der Szene von verschiedenen Schweizer Städten verteilt wird. In Bern macht die HAB nicht mit, weil in diesem Flugblatt alle politischen, sozialen und gesellschaftlichen Aspekte der Krankheit fehlen. Die HAB ist auch mit einigen der technischen Anweisungen zum Schutz vor Aids nicht einverstanden."

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Ernst Ostertag, Januar 2008

Weiterführende Links intern

Mahnung an die HAB