1994

Zu schwul fürs Kloster

… eine Absage

"Zu schwul fürs Kloster" setzte Martin Abele als Titel über seinen Bericht im AK Anderschume/Kontiki vom Oktober 1994:1

"Es war wohl doch zu unglaublich, um wahr zu werden: Ein Konzert mit dem Schwulen Männerchor Zürich in der Einsiedler Klosterkirche. Geplant war ein Auftritt im Rahmen der traditionellen Einsiedler Herbstkonzerte zusammen mit der Engadiner Kantorei und dem Tonhalle-Orchester. Gegeben werden sollte das Requiem von Brahms, welches in derselben Besetzung [...] mit grossem Erfolg in der Tonhalle aufgeführt worden war.

Die schmaz-Verantwortlichen trauten der Sache nicht so recht und wollten auf Nummer Sicher gehen. Sie fragten an [...]. Und tatsächlich: Die klösterlichen Organisatoren erwarteten, dass der Schmaz selbstverständlich auf das Wort 'schwul' im Programm verzichten würde.

Doch da hatten sie sich gewaltig im schmaz getäuscht, für den das offene Auftreten als schwule Sänger eine unverzichtbare Grundhaltung darstellt. So blieb den Organisatoren nur noch die Ausladung und die damit verbundene Absage des Konzerts übrig. Ihre Begründung: 'Wegen des unverständlichen, kompromisslosen Festhaltens [...] an der Zusatzbezeichnung 'schwuler' hat uns das Kloster gebeten, auf die Abhaltung des geplanten Konzertes zu verzichten. [...]

Vorab macht uns das Kloster nicht unbegründet darauf aufmerksam, dass die verlangte volle Namensnennung des Männerchors in unseren Werbemitteln bei einem Teil unserer traditionellen Kirchenbesucher und vorab bei den Pilgern, welche unseren Wallfahrtsort besuchen, ungute Wirkungen zeigen wird, was wir als möglich erachten.'

Und nach aussen begründen sie die Absage des Herbstkonzertes damit, die Kirchenbänke müssten renoviert werden…"

Der Blick vom 4. November 1994 brachte die Überschrift

"Was haben Sie gegen schwule Sänger, Herr Abt?"

und berichtete:2

"Da verschlägt's einem die Stimme! Morgen sollte eigentlich das [...] Herbstkonzert im Kloster Einsiedeln stattfinden. Sollte - denn der bekannte Zürcher Männerchor 'schmaz' darf nicht singen. Warum? Weil die Sänger schwul sind! Statt feierlicher Töne herrscht morgen Stille in der Klosterkirche. Zum ersten Mal seit 18 Jahren!

[...] Abt Georg Holzherr zu BLICK: 'Die Kirche ist nicht der Ort, an dem besondere Eigenheiten einer bestimmten Gruppe ins grosse Licht gestellt oder zelebriert werden.' Die Kirche dürfe nicht als Aushängeschild für 'solche persönlichen Sachen herhalten'. schmaz-Präsident Guggenbühl schüttelt den Kopf: 'Auf unseren Vereinsnamen verzichten wir nicht. Er ist ja gerade unsere Botschaft. [...] Die katholische Kirche hat den Anschluss längst verpasst.'

Nach den Unterlagen "Aufführungsliste aller Auftritte" von Michael Munz erfolgte die Absage aus Einsiedeln bereits im September. Daher gab der Chor zum Trost für jene, die sich auf das Konzert in der Kirche gefreut hatten, am 16. September "schmaz im mond" in Einsiedeln. Das im Dorf gelegene "Chärnehus" war ausverkauft und ein Team der Sendung "Quer" vom Schweizer Fernsehen war mit dabei. Dieses Team blieb auch, als anschliessend das zweite Lied des Programms, "Viri Galilaei" von William Byrd (1543-1623) im Freien vor der Klosterkirche bei strömendem Regen wiederholt wurde. ("Viri Galilaei", "Männer Galileas", ist - nach Apostelgeschichte 1,11 - ein Teil der Auffahrtsmesse.)

Der neue Abt, Martin Werlen, entschuldigte sich 2002 für die Absage seines Vorgängers.

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Ernst Ostertag, Juni 2008

Quellenverweise
1

AK Anderschume/Kontiki, Nr. 5, Oktober-November 1994, Seite 11

2

Marc Walder, Blick, 4. November 1994