Newsletter 153

September 2022

Diese Ausgabe enthält folgende Themen:

  • Vor 20 Jahren: Der entscheidende Kampf ums Partnerschaftsgesetz im Kanton Zürich
  • Jakobs Fluch oder der Missbrauch von Bibel- und Korantexten zur Schwulenverfolgung - Bucherscheinung

Vor 20 Jahren: Der entscheidende Kampf ums Partnerschaftsgesetz im Kanton Zürich

eos. Die Zeit war reif. Ende der 90er Jahre fand es eine Mehrheit der Bevölkerung stossend, homosexuellen Paaren jede rechtliche Absicherung zu verweigern. Die Frage wurde offen diskutiert. Die Politik allerdings blieb taub und blind. Eine Anfang 1995 eingereichte Petition von Pink Cross schlief jahrelang ungestört im Bundeshaus. Da begannen einige Kantone sich zu regen. Genf realisierte 2001 eine PACS-Lösung für alle Konkubinatspaare analog zum französischen Modell. Andere Kantone planten weitergehende Vorlagen. 2002 beschloss der Zürcher Kantonsrat ein Partnerschaftsgesetz, das homosexuelle Paare in wesentlichen Bereichen gleichstellte. Noch im selben Jahr konnte es per Volksabstimmung verwirklicht werden. Ein bedeutender Schritt.

1963 schrieb der Winterthurer Kantonsrat Prof. Marcel Beck im Republikaner von der Homosexualität als "stinkender Kloake", die heute "frech auf öffentlichen Plätzen und in Gaststätten ihr widerliches Haupt erhebt". Und Bezirksanwalt Dr. Robert Frick sagte im selben Jahr in einem Interview in der Zürcher Woche:

"Wir müssen aufpassen, dass gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Homosexualität bei uns nicht salonfähig wird. Die Homosexuellen haben heute die Tendenz, sich als normal hinzustellen und erheben Anspruch darauf, quasi als 'Drittes Geschlecht' anerkannt zu werden."

Die Zeiten haben sich in vierzig Jahren deutlich verändert. In Zürich wie in manchen anderen Kantonen mit grossen Städten gab es - eher auf dem Land - immer starke und militante konservative Kräfte. Doch allermeist überwogen - oft hauchdünn - die klar progressiven Teile der Bevölkerung. Stets wurde und wird hart gestritten. Das ist lebendige Demokratie, anregend, aufregend. Und nie fehlt der Blick aufs Geld, auf die Wirtschaft, aufs Ganze. Das zwingt zum Konsens, zu dem, was vernünftig ist.

1999 brachte die Sozialdemokratin Bettina Volland eine parlamentarische Initiative in den Zürcher Kantonsrat zur "Besserstellung nichtehelicher Partnerschaften". Man diskutierte heftig und setzte gegen den Widerstand seitens SVP und EDU eine Kommission ein. 2001 lag ihr Bericht vor. Eine Kommissionsmehrheit lehnte die Initiative ab, eine Minderheit hatte einen Gegenvorschlag formuliert: Es sei eine Registrierung nur für gleichgeschlechtliche Paare zu schaffen. Dies mit der Begründung, im Unterschied zu den heterosexuellen Konkubinatspaaren sei Homosexuellen die Möglichkeit einer Ehe verwehrt. Dieser Gegenvorschlag wurde im Kantonsrat angenommen. Nun galt es, ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten.

Anfang 2002 präsentierte der Redaktionsausschuss das fertig erstellte Gesetz und der Kantonsrat nahm es mit 93 zu 43 Stimmen an. Damit hatte Zürich ein Partnerschaftsgesetz, das bei der Gleichstellung zur Ehe so weit ging, wie es einem Kanton möglich ist ohne übergeordnete Bundesgesetze - etwa im Steuerrecht - zu tangieren. Es umfasste u.a. die Zeugnisverweigerung bei Gericht, das Besuchsrecht auf Intensivstationen von Spitälern, die Gleichbehandlung im Erbrecht.

Sofort ergriffen SVP, EDU, konservative Kreise und religiöse Gruppierungen beider grossen Konfessionen das Referendum, brachten es zustande und erzwangen eine Volksabstimmung. Sie führte am 22. September 2002 zu einem Resultat von 62,7% Ja-Stimmen. Dank unseren Gegnern wurde der Kanton Zürich somit zum ersten Staatswesen weltweit, das ein solches Gesetz via Volksmehr einführte.

Ein Kraftakt der Community mit viel Humor

Allerdings, der Abstimmungskampf war eine gewaltige Aufgabe für uns alle, die gesamte Community. Jede verfügbare Freizeit galt es einzusetzen und sehr viel Geld musste gesammelt werden. Überall zugreifende Hände waren gefordert, und für viele kamen zudem Bereitschaft und Mut für öffentliche Outings hinzu. Menschen aus dem ganzen Kanton und vereinzelt auch weit darüber hinaus stellten sich zur Verfügung - und es wurden täglich mehr. Alle wussten, wir wollen, wir müssen gewinnen.

Dann ging es los. Verborgene Talente entwickelten sich, witzige Ideen setzten sich durch, eine Fröhlichkeit entstand, die zündete und alle ansteckte. Wir schaffen es. Klar doch, wir schenken der Gesellschaft etwas Neues, eine Öffnung. Wir nehmen niemandem etwas weg. Das Verhindern und Verbieten besorgen unsere Gegner. Und zum Schaffen aus eigener Kraft kam das Wissen hinzu, keine reiche Stiftung, keine Bank oder Versicherung, keine Grossfirma und keine politische Partei unterstützt uns als Sponsor. Dafür schmeckten schliesslich nach dem Sieg Stolz und Dankbarkeit lupenrein und galten jeder und jedem von uns - und all denen, die Ja gestimmt hatten.

Als wäre es gestern gewesen, so klar erinnern sich viele noch heute an einzelne Aktionen. Beispielsweise an die Paare und Einzelmenschen in weissen T-Shirts und schwarzem J drauf oder in schwarzen Shirts mit weissem A. Alle trugen zudem Schirmmützen in umgekehrter Weise, schwarz mit J, weiss mit A. Dieses schachbrettartige J A fiel ins Auge, besonders wenn es zu Demo-Zügen kam. Unübersehbar waren die Paare, aber auch die vielen Singles auf Plätzen und Strassen, beim Einkaufen oder Flanieren, auf dem Fahrrad oder irgendwo im öV: professionelle Gratiswerbung, überall in jenem Sommer. Viel Zeit hatten wir ja nicht. Das Referendum war Ende März zustande gekommen. Bis zur Abstimmung am 22. September blieben knapp sechs Monate zur Verfügung. Davon beanspruchten Organisation und Materialbeschaffung mindestens zwei Monate. Mitte Juni musste es losgehen.

Ganz persönlich blieb mir der 16. September als "Grosskampftag" lebendig. Morgens um 08.30 kam ein Team des Schweizer Radio und Fernsehens für ein Interview in die Wohnung. Natürlich ging es um die Abstimmung des kommenden Sonntags. Sie wollten Allgemeines wissen von uns beiden, Röbi und mir, und viele Details aus alten Zeiten bis jetzt. Kurz nach 13 Uhr packten sie zusammen. Auf 16.00 hatte die FDP der Stadt Zürich zu einem Informationstreffen ins Zunfthaus Zimmerleuten geladen. Eltern von Homosexuellen, einzelne Betroffene und der FDP-Politiker Hans-Peter Portmann sollten aus ihrer Sicht zum neuen Gesetz Stellung nehmen. Röbi und ich gehörten zu den "Betroffenen". Wir kamen als erste dran, weil wir um 17.30 einen weiteren Termin hatten. Es wurde ein berührend-offenes Gespräch. Von den Eltern beeindruckte vor allem das Tösstaler Bauernpaar mit den Schilderungen aus dem Leben ihres schwulen Sohnes.

Einige Zuhörer bekannten, leider hätten sie bereits brieflich abgestimmt, nun würden sie anders entscheiden. Der Schauspieler Walter Andreas Müller (WAM) lockerte das Ganze mit köstlichen Nachahmungen von Bundesräten auf und bemerkte, wenn diese beiden - er wies auf uns - dann verpartnert sind, können sie sich Osterapp nennen, das sei doch eleganter als die Firma "Rapp und Ostertag". Doch nun mussten wir passen, draussen wartete ein Taxifahrer, der uns rasch ins Studio von TeleZüri brachte. In der Sendung "Talk Täglich" befragte uns Hugo Bigi damals noch eine volle Stunde lang zum bevorstehenden politischen Ereignis und über unser berufliches und privates Leben als Männerpaar. Auch die Änderungen von früher bis heute und wie wir uns die Zukunft vorstellen könnten gehörten ins Programm. Schon Tage zuvor hatten wir uns wortgenau eingeprägt, was wir der gossen Menge unsichtbarer Zuschauer unter allen Umständen ganz persönlich sagen und welche Argumente wir unbedingt platzieren wollten, um jene der Gegner zu entkräften. Das gelang uns tatsächlich, auch wenn wir einige Fragen des Moderators nicht vollständig beantworteten, sondern rasch auf unsere Linie abbogen, bevor er zur nächsten Frage ansetzte.

Als Minderheit in der Mitte ankommen

Ein völlig anderes Bild leuchtet noch immer farbenfroh über allen Erinnerungen. Es ist der Sternmarsch vom Sonntag, 8. September, geplant vom Abstimmungsverein und gemeinsam durchgeführt von allen Organisationen und Gruppierungen der Community. Ein herrlich sonniger Tag war es mit angenehmen Temperaturen. Jeder und jedem Angemeldeten wurden eine Farbe und ein bestimmter Sammelplatz zugeteilt. Das Tenü sollten wir nach Möglichkeit in dieser Farbe halten. An Ort gebe es Verbindungsleute, um alles Weitere zu erklären. In einer Kolonne könnten wir dann loswandern Richtung Ziel aller Gruppen: zur geografischen Mitte des Kantons. Dort würden uns Medienschaffende, das Organisationskomitee und eine Musik erwarten. Je ein Paar oder zwei Einzelmenschen pro Gruppe waren zuvor benachrichtigt worden, sich auf ein kurzes Statement in Mundart vorzubereiten, das dann am Ziel vorzutragen sei.

Röbi und ich trafen zur festgelegten Zeit am Rand von Schwamendingen bei der Gruppe "Violett" ein. Wir trugen violette T-Shirts und fanden recht viele junge bis ältere Menschen in teilweise fantasievoller violetter Aufmachung. Auch Abendkleider und voluminöse Hutkreationen, lange Schärpen, Taschen und Täschchen waren dabei. Diskret verborgen blieben darin auch mal bequeme Schuhe einsatzbereit. Andere erschienen butch, echte, zähe Wandergewohnte mit Rucksack, violetten Socken und Kappen oder Mützen. Vor Abmarsch bekamen wir je einen violetten Ballon ans Handgelenk gebunden. Dann ging es recht gemächlich los. Bald ertönte ein Wanderlied und alle stimmten ein. Die Route führte auf Strassen und Feldwegen Richtung Dübendorf, dann dem Flugplatz-Gelände entlang hinauf zur Siedlung Wangen. Etwas dahinter, durch schmale Wiesenwege gehend, erreichten wir den Hügel Hochrüti. Auf 500 m.ü.M. war das Ziel, mit Fahnen und Ballons geschmückt. Aus mehreren Richtungen kamen andere farbige Züge herbei. Die Ersten sassen schon im Gras. Zusammen ergaben sie die Regenbogenfahne. Ein lebendig buntes Zentrum des Kantons hatte sich eingefunden. "In der Mitte ankommen" war offensichtlich das Stichwort.

Denn allen, der ganzen Community war bewusst, um was es bei dieser Abstimmung ging, der ersten für ein Partnerschaftsgesetz. Wenn wir sie verlieren, wird es eine Generation dauern bis zum nächsten Anlauf. Dieses Gesetz bedeutete die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerpaare. Dieses Gesetz war ausschliesslich für uns gemacht. Man gab uns das Recht auf ein eigenes Gesetz. Noch vor knapp vierzig Jahren war so etwas undenkbar. Damals, 1963, tönte es ganz anders. Und das hatten wir noch gut in den Ohren.

Trotzdem, heute sehen wir das nochmals anders. Unsere Stellung inmitten der Gesellschaft ist bei einer Mehrheit von gut 60% eine Tatsache. Noch ist das ausbaufähig. Wir wissen, Sonderrechte sind nicht gleiche Rechte. Wir kämpfen weiter und haben das Recht dazu. Gleichzeitig wissen wir, fast 40% unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen stimmten im letzten Jahr gegen die "Ehe für alle". Viele von ihnen mögen uns akzeptieren, aber gleiche Rechte, das kann nicht sein.

Das müssen auch wir, weiterkämpfend, akzeptieren. Eine Demokratie misst sich am Umgang mit ihren Minderheiten. Auch wir werden immer eine Minderheit bleiben. Wir werden immer andere brauchen, die auf uns zugehen. Und das ist von uns in gleicher Weise gefordert. Es gehört in unsere Zukunft - schliesslich ist das Offensein Teil unserer DNA als lebendige queere Community.

Jakobs Fluch oder der Missbrauch von Bibel- und Korantexten zur Schwulenverfolgung

hpw. Im September 2022 erscheint im Luzerner Rex-Verlag das Buch "Jakobs Fluch". Der Autor Josef Burri war über lange Jahre Chefredaktor von schwulengeschichte.ch. Er ist Pu­bli­zist und Fernseh- wie auch Film­pro­du­zent. 1976 doktorierte Josef Burri 1976 in katholischer Theologie.

Der Verlag schreibt zu "Jabobs Fluch":

"Bibel und Koran enthalten Texte, deren Autoren, Übersetzer und Interpreten mehr Tote auf dem Gewissen haben als irgendein Schöpfer eines weltliterarischen Werkes."

Und die Verfolgung gehört nicht der Vergangenheit an. Sie ist aktuell und in einigen Kulturen wird sie sogar stärker, ganz ausgeprägt in muslimischen Ländern. Josef Burri beurteilt die Verwendung von Bibel- und Korantexten zur Rechtfertigung der Verfolgung von Homosexualität als Missbrauch, der auf Machtbesessenheit gründet.