Kommentar

Die vier Aktfotos in den Unterlagen der Polizei stammen eindeutig aus dem "Bilderdienst", der nur Abonnenten als Zusatzabo offen stand und auch Das Kleine Blatt lag nur den Heften von eingetragenen Abonnenten bei, nie jenen für Aussenstehende (beispielsweise Wissenschafter, Sittenpolizei). Wie gelangten diese Dinge in den Besitz der Polizei?

Denkbar wäre: Nach dem Tod eines Abonnenten über "unaufgeklärte" und daher geschockte Familienangehörige. Oder, das erfuhren wir öfter von KREIS-Kameraden, die nur in gemieteten Zimmern logierten, wenn die "Schlummermutter" etwa bei Ferienabwesenheit des Zimmerherrn mal gründlich "putzen" und gwundrig "Ordnung machen" ging. Das löste fast immer die sofortige Kündigung aus, in "guten Fällen" ohne Benachrichtigung der Polizei.

"Kinsey-Report" (erste deutsche Ausgabe, übersetzt von "yx" (Dr. Walther Weibel)) und "Vor dem Forum der Schweiz" (Erläuterungen jener Artikel des neuen StGB, die Homosexuelle betreffen) waren Separatdrucke des KREIS und konnten intern bezogen werden. Die KREIS-Leitung bediente damit aber auch Wissenschafter und Juristen.

Es gab nach dieser Affäre keinen Eingriff seitens der Bundesanwaltschaft oder der Zürcher Polizei. Die Observierung ging aber weiter. Wäre nur der geringste Verstoss festgestellt und bewiesen worden, hätte es zu einem Verfahren gegen Karl Meier gereicht. Das hätte die Auflösung des KREIS zur Folge gehabt. Es gab Leute und Kreise von Leuten, die nur darauf warteten.

Andererseits betreffen die beigelegten Exemplare Das Kleine Blatt offenbar gezielt jene Ausgaben, die 1950, 1952 und 1953 den Maskenball anzeigten mitsamt den darunter beigefügten Verhaltensregeln: Strenge Türkontrolle; Gäste müssen sich ausweisen (keine Minderjährige!); in der Gasse vor dem Haus absolut ruhig und unauffällig sein, um ja keinen "Stoff" für "uns" nicht Wohlgesinnte zu liefern. Diese Regeln hatte die Polizei rot markiert. Offenbar sollten sie die strikt durchgeführte Selbstkontrolle beweisen.

Die Aktfotos zeigten, wie alle im "Bilderdienst", je (nur) einen jungen Mann mit sichtbarem Genitalbereich. Pornografie war es nicht, auch nicht nach der damaligen strengen Auffassung. Aber ein homophober Staatsanwalt hätte etwas "Unsittliches" finden oder konstruieren können, denn sie wurden gegen Geld versandt. Es geschah jedoch nichts.

Wie die Zürcher Polizei diese ganze Sache in Form einer absolut korrekten Antwort an die Bundesanwaltschaft behandelte und den klaren, sachlichen Bericht jenes Gefreiten des Spezialdienstes verwendete, stellt ihr ein gutes Zeugnis für fairen Umgang mit dem KREIS aus. Dies zum damaligen Zeitpunkt, 1953.

Hingegen nur fünf oder gar sieben Jahre später, mitten in der durch Presseberichte zu Homo-Mordfällen massiv aufgeheizten Volksstimmung, wäre wohl eine völlig andere, repressive Beurteilung wahrscheinlich gewesen.

Die Antwort mit allen Beilagen zeigt exemplarisch, wie genau die Polizei selbst über "streng vertraulich" Gehandhabtes im KREIS und in seiner Zeitschrift orientiert war. Viel detaillierter jedenfalls, als alle Abonnenten es sich vorstellten. Unser Ghetto war zwar sicher, aber keineswegs so dicht geschlossen, wie wir dachten und es uns gerne einredeten.

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Ernst Ostertag, Juni 2008