1963
Interview KREIS: Karl Meier / Rolf
... Herausgeber des Kreis
Der dritte Teil der Interview-Serie "Zürich und das 'Dritte Geschlecht' " vom 27. September enthielt ein weiteres Gespräch, eingeleitet mit:
"Unser Report wäre aber zweifellos nicht nur unfair, sondern auch unvollständig, wenn nicht auch einer jener Leute zu Worte käme, die üblicherweise aus Diskussionen um dieses Thema ausgeschlossen werden: ein Angehöriger des sogenannten 'Dritten Geschlechts'. Es handelt sich dabei um eine bekannte Persönlichkeit Zürichs, die sich seit langer Zeit unter dem Pseudonym 'Rolf' für eine objektive Auseinandersetzung mit dem Problem der Homosexuellen publizistisch bemüht. [...]"
Aus dem Interview mit dem Herausgeber und Redaktions-Leiter des Kreis, "Rolf":
Frage: Wie stellen Sie sich zum Vorwurf, der Kreis versuche mit Propaganda und Reklame Mitglieder auch unter jenen Leuten zu werben, die eigentlich nicht dazugehörten?
'Rolf': Es gibt sehr viele Homoeroten in der Schweiz, die von unserer Existenz gar nichts wissen. Das ist der beste Beweis, dass wir keine Reklame betreiben; bei uns gibt es höchstens Mundreklame. [...]
Was sind Ihre Postulate für die Zukunft?
'Rolf': Ich möchte sie so zusammenfassen: Wir wünschen, dass die Gleichsetzung von Homosexualität mit Kriminalität in den öffentlichen Diskussionen und in der Presse verschwindet; dass die Gleichsetzung des Homosexuellen mit Knabenverführer nicht mehr verallgemeinert wird, [...] dass das Bekanntwerden der gleichgeschlechtlichen Neigung eines Mannes [...] für ihn beruflich und gesellschaftlich nicht mehr diffamierend sei. [...] Der Homoerot muss nämlich seine Frage nur überbewerten, weil die Gesellschaft sie nicht ernsthaft und objektiv diskutieren will. [...]
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer persönlichen Andersartigkeit?
'Rolf': Ich bejahe mein Schicksal. Früher allerdings habe ich aus religiösen Motiven schwer darunter gelitten. Es hat Jahre gebraucht, um mich zum vollständigen inneren Gleichgewicht durchzuringen. [...]
Gibt es viele Homosexuelle, die sich mit ihrer Andersartigkeit nicht abfinden können?
'Rolf': Ja, vor allem religiös fixierte Leute, zum Beispiel strenggläubige Katholiken oder Protestanten. Sie leiden, weil sie die Bibelstellen über homosexuelle Beziehungen nicht aus der Zeit ihrer Entstehung heraus begreifen, sondern als für heute noch verbindlich ansehen. [...]
Wir sprechen hier von den religiösen Konfliktsituationen. Aber sicher hat der Homosexuelle auch im Zusammenleben mit der Gesellschaft Schwierigkeiten?
'Rolf': In einer Gesellschaft von durchschnittlichem Niveau hat er sicher stark zu leiden. Die Reaktion ist aber sehr unterschiedlich. Wenn er es mit objektiv urteilenden Menschen zu tun hat, die sich mit dem ganzen Problemkomplex der Homosexualität schon ernsthaft befasst haben, kann er als gleichwertig anerkannt werden. [...]
Was bezweckt Ihre Vereinigung?
Diese Frage nutzte Rolf natürlich, um die uns wohlbekannten Grundsätze des KREIS und den Aufbau der Organisation darzustellen und die nächste Frage nach den "beliebtesten Anlässen" gab ihm die Möglichkeit, davon ein anderes Bild zu zeichnen, als das bisher in der Presse gezeigte. Er schilderte besonders die Weihnachtsfeiern und schloss mit den Worten:
Ich könnte Ihnen Hunderte von Briefen zeigen, die eine rührende Dankbarkeit für unsere Arbeit beweisen. Sie müssen sich vorstellen, wie einsam sich Homoeroten in kleinen Städten oder gar Bergdörfern fühlen. [...] Natürlich sind auch bei uns einige Oberflächliche dabei; aber ein beträchtlicher Prozentsatz schliesst sich aus einem inneren Bedürfnis heraus an.
Ernst Ostertag, November 2005