1940-70er

Im Untergrund

Verstecktes Leben

Der Historiker, Mittelschullehrer und Dozent an Fachhochschulen, Erasmus Walser, liess in der Berner Tagwacht vom 24. Januar 1994 einen Auszug aus seinem Referat vor der lesbisch-schwulen Uni-Gruppe Bern erscheinen:

"Zwischen Heimlichkeit und Öffentlichkeit, 1940 bis 1970: Dreissig Jahre Lebenserfahrungen schwuler Männer in Bern".

Darin zeigte er mittels ausführlicher Interviews mit älteren Männern auf, in welchen Formen von Subkultur und welchen Spannungsfeldern Homosexuelle in diesen frühen Jahrzehnten vor der Schwulenemanzipation gelebt hatten oder leben mussten. Über die Zeit nach der Einführung des neuen StGB stellte er zunächst fest:

"Es bestanden also nach wie vor und in beträchtlichem Umfange obrigkeitlich-behördliche Ordnungseingriffe in Bereiche, die bei Heterosexuellen als Privatsphäre gelten."

Dann zitierte Walser einen seiner Interviewpartner:

" 'Auch gebildete Leute meinten, ein homosexueller Mann gehöre hinter Gitter.' Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass junge schwule Männer während des Zweiten Weltkrieges die abendlich verhängte Verdunkelung in den grösseren Städten nutzten, um schwule Kontakte zu knüpfen. Denn üblicherweise erfuhren sie die Öffentlichkeit als unbrauchbar für diesen Zweck."

Auch wir erinnern uns an viele Aussagen von Abonnenten im KREIS, dass die Jahre der Verdunkelung eine "paradiesische Zeit" des Nachtschwärmens und der problemlosen Kontaktsuche waren, wovon nicht nur Städter, sondern auch Leute vom Land regelmässig profitierten, indem sie - vor allem in schneefreien, also dunklen, langen Winternächten - herbeifuhren, um mit dem ersten Frühzug wieder zurückzukehren:

"Viel Bett und wenig Schlaf gab es da bei Kameraden, die sturmfreie Zimmer in der Stadt bewohnten."

Walser fuhr fort:

"In den siebziger Jahren wurden in Bern zwei Männersaunas für schwule Männer eröffnet",

um dann einige Anekdoten aus seinen Befragungen zu zitieren, als Beispiele "für die Tabuisierung der Homosexualität". Hier zwei davon:

"Typisch scheint mir auch die Erzählung eines Familienvaters aus der Innerschweiz. Er war in der schwulen Sauna unverhofft mit seinem CVP-Kollegen aus dem Gemeinderat zusammengetroffen, hatte sich fluchtartig entfernt und gestand meinem Informanten, von Panik erfasst, er könne ja nun nicht mehr heim: Der andere Mann werde doch sicher erzählen, wo man ihn gesehen habe. Dass die gleiche Situation auch für den anderen gegolten hat und sich die beiden auf diskretes Schweigen zu Hause hätten einigen können, fiel ihm nicht ein."

"Die Ehefrau eines Saunakunden hatte die Werbevisitenkarte der Gay-Sauna im Anzug ihres Mannes gefunden. Aufgeregt fragte sie telefonisch nach, ob es in der Sauna auch Frauen gebe. Auf die verneinende Antwort hin war die Dame hörbar erleichtert, bedankte sich ohne einen Schimmer von Verdacht oder Neugier, welche Art von Sauna ihr Eheliebster da denn zu frequentieren pflegte."

Nach oben

Ernst Ostertag, Oktober 2006