Homophile werden schwul

Umgang mit diffamierenden Worten und Zeichen

Ein Merkmal der (heterosexuellen) Studenten-Revolten der späten 60er und frühen 70er Jahre war, diskriminierende, beleidigende Worte bewusst zur Selbstbezeichnung einzusetzen und damit umzupolen. So verfehlten sie schliesslich ihre ursprünglich diffamierende Wirkung. Man nahm dem Gegner die Schlagworte.

Die Schwulenbewegung verfolgte eine ähnliche Taktik. Sie bediente sich des Rosa Winkels der Nazi-Konzentrationslager und schuf daraus ihr eigenes Logo (ab 1971/72). Zugleich nahm sie das den Homosexuellen von den Nazis in diffamierendem Sinn verpasste Rosa, die Babyfarbe für Mädchen, als Farbe der Schwulen: "Pink power" wurde zum Slogan.

Trotz Widerstand in den eigenen Reihen machten die Polit-Aktivisten im deutschsprachigen Raum das Schandwort "schwul" zur Eigenbezeichnung und verwendeten es ab 1970/1971 konsequent an Stelle des eben erst in Mode gekommenen englisch/amerikanischen "gay".

Dass sich die Ablehnung dieser Bezeichnung schon früh formte, zeigt ein Abschnitt von Johannes Werres aus dem Kreis 1952:1

" 'Schwul', 'links' und 'warm', jene hilflosen Bildungen der Masse, die mit der aus dem Rahmen des Gewöhnlichen fallenden homoerotischen Einzelerscheinung nichts Rechtes anzufangen weiss, werden merkwürdigerweise oft bedenkenlos übernommen."

Zu jener Zeit richtete sich Werres gegen gedankenlose Nachplapperer in den eigenen Reihen. Revolutionäre Aktivisten gab es damals keine.

Aber der Hinweis zeigt auch, dass Homosexuelle wohl von je her diffamierende Bezeichnungen übernommen haben und unter sich austauschten. So verloren diese Worte etwas von ihrer Bitterkeit. Zugleich ist dieses Tun Ausdruck jener Selbst-Ironie verfemter Minderheiten, ausgeformt und gepflegt im Ghetto, wo sie unter ihresgleichen sicher sind.

Homosexuelle finden sich hier in unmittelbarer Nähe zur jüdischen Minderheit - wie so oft.

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Ernst Ostertag, Juli 2006

Weiterführende Links intern

Johannes Werres

Quellenverweise
1

Johannes Werres als Jack Argo, Kreis, Nr. 2/1952, Seite 5