2003

Die eigene Trauungs-Rede

… zum 1. Juli

Dazu hatte ich (Ernst Ostertag) u.a. den Satz gewählt, "Sieg der Mensch­lich­keit". Er­schie­nen war er im April 1959 fett gedruckt als Titel zur Be­richt­er­stat­tung einer Il­lus­trier­ten über den Ausgang des Schwur­ge­richts­pro­zes­ses im Mordfall Ernst Rusterholz. Der Mörder erhielt einen Schuld­spruch, der genau auf die Zeit der Haft bis Prozess-Ende bemessen war und konnte das Ge­richts­ge­bäu­de als freier Mann ver­las­sen. Ein solches Urteil war nur in den Jahren der Re­pres­si­on möglich. Es kam einer Ver­höh­nung des Opfers gleich und wurde als "Sieg der Mensch­lich­keit" all­ge­mein be­klatscht. Ich wollte die Ver­än­de­rung seit damals auf­zei­gen - aber na­tür­lich er­in­ner­te sich niemand mehr daran. Trotzdem!

"Lieber Herr Stadt­prä­si­dent, lieber Herr Pe­ter­hans und liebe Gäste!

Ein Traum ist Wirk­lich­keit geworden! Das ist ein grosser 'Sieg der Mensch­lich­keit', der Men­schen­lie­be und des Men­schen­rechts!

Was uns beide jetzt vor allem erfüllt ist Dank­bar­keit.

Dank an die Pioniere des 19. Jahr­hun­derts, die als erste über­haupt unsere Rechte for­mu­liert, be­grün­det und öf­fent­lich vor­ge­legt haben und die dafür mit dem Verlust ihrer Existenz, mit Exil, Armut und Tod be­zahl­ten. Dann Dank an ihre zahl­lo­sen Nach­fol­ger, welche durch wid­rigs­te, feind­li­che Zeiten selbst­los und mutig die Flamme unserer Hoffnung und unserer Würde wei­ter­tru­gen, aber den heutigen Tag nicht mehr erleben konnten.

Ebenso Dank an alle, die unser neues kan­to­na­les Gesetz erdacht, er­ar­bei­tet und un­er­müd­lich durch die po­li­ti­schen In­sti­tu­tio­nen getragen haben. Dank an die Mit­hel­fer vor und während des Ab­stim­mungs­kamp­fes. Dank für ihren Einsatz an Zeit, Kräften, Geld und für ihr Hin­aus­tre­ten in die Öffent­lich­keit.

Dank auch allen Bür­ge­rin­nen und Bürgern, die am 22. Sep­tem­ber des letzten Jahres ab­ge­stimmt und ein Ja ein­ge­wor­fen haben und damit den ent­schei­den­den Durch­bruch schaff­ten.

Und schliess­lich Dank unseren feind­li­chen Freunden und scharfen Gegnern der EDU mitsamt ihrem fun­da­men­ta­lis­ti­schen und kon­ser­va­ti­ven Umfeld, die durch ihr Re­fe­ren­dum erst den weithin hal­len­den Sieg möglich machten. Denn so ist der Kanton Zürich weltweit zum ersten Staat geworden, der ein Gesetz für gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner­schaf­ten per Volks­ab­stim­mung ver­wirk­lich­te. Damit hat - nach unserer Meinung - der Stand Zürich die Ein­tra­gung ins Guinness-Buch der Rekorde verdient!

Viel­leicht fragen Sie sich, was dieser Tag uns beiden ganz per­sön­lich bedeutet. Die Antwort ist einfach, sie lautet: Viel, sehr viel!

Denn nach fast 50 Jahren ehe­ähn­li­chen Zu­sam­men­le­bens im Ge­fäng­nis der mo­ra­li­schen Il­le­ga­li­tät, der zeit­wei­sen po­li­zei­li­chen Ver­fol­gung, der Re­gis­trie­rung in den Homo-Listen, des bes­ten­falls schwei­gen­den Ge­dul­detseins werden wir heute of­fi­zi­ell in die Freiheit ent­las­sen, in die Freiheit der Ak­zep­tanz und der staat­li­chen wie ge­sell­schaft­li­chen An­er­ken­nung.

Das ist auch die nun öf­fent­li­che Freiheit dessen, was wir schon lange waren: Ein Paar in Part­ner­schaft, die gelebt wird aus ge­gen­sei­ti­gem Respekt vor dem anderen, getragen von Liebe, Rück­sicht, Geduld und den Mög­lich­kei­ten gleich­be­rech­tig­ter Ent­fal­tung, einzeln wie ge­mein­sam.

In dieser neuen, of­fi­zi­el­len Freiheit dürfen wir nun - als Paar - anderen dienen. Das wird sich wohl als Gewinn erweisen für viele, die einer wand­lungs­fä­hi­gen, auf­ge­schlos­se­nen Ge­sell­schaft an­ge­hö­ren.

Wir danken euch allen - und vorab, un­ein­ge­schränkt, den Behörden unserer Stadt, auch unserer Polizei. Danke!"

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Ernst Ostertag, Oktober 2008