Newsletter 127
Juli 2020
Diese Ausgabe enthält folgende Themen:
- Wider die Natur?
- Überarbeitete Zeittafeln machen Inhalte zugänglicher
Wider die Natur?
dbr. Schon seit langer Zeit, vielleicht schon immer, stellen sich queere Menschen die Frage, wie es kommt, dass sie anders als die Mehrheit lieben. Es gibt relativ wenige, die sich in ihrer Jugend nicht zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen und dies augenblicklich so absolut akzeptieren, dass keine Fragen und Zweifel auftauchen.
Die meisten erfahren durch ihre Umgebung, dass die Abweichung von der Norm (Mann liebt Frau und umgekehrt) zu Fragen Anlass gibt, oft auch Ablehnung, Schuldgefühle oder Hass hervorruft. Damit wird Liebe und Sexualität in Gut und Böse, in richtig und falsch aufgeteilt. Liebe und Sexualität sind dem Menschen immanente Triebe wie Hunger und Durst, die niemand in Gut und Böse zerteilen würde. Liebe und sexuelle Anziehung sind natürliche Regungen. Dass sie nicht immer zwischen Mann und Frau stattfinden, war schon immer so. Zumindest belegen dies viele Überlieferungen und Ergebnisse der Forschung. Davon sind einige auch auf der Website schwulengeschichte.ch zu finden.
Dass die Menschheit aus der Liebe zwischen Mann und Frau eine allein gültige Norm machte, kann man an der Vielfalt an Bezeichnungen ablesen, die es für Schwule gibt. Eine reiche Auswahl findet sich in den "Epochen" im Kapitel "Ächtung" unter "Bezeichnungen".
Viele dieser Bezeichnungen für queere Menschen sind abwertend, auch wenn sie nicht immer so gemeint sein sollten. Sie diskriminieren, weil sie verallgemeinern und sehr oft einen Aspekt ansprechen, der negativ besetzt ist und eine ganze Gruppe von Menschen in dieselbe Schublade stecken. Dies bewirkt eine Abgrenzung, die oft gewollt ist, weil damit eigene, bedrohliche Anteile von sich weggewiesen werden.
Begriffe wie "Warmduscher" oder "Schoggistich" zeugen von Abwertung und Verachtung. Begriffe wie "Kinderschänder" für Schwule zeigen, dass man nicht davor zurückschreckt, unwahr zu diffamieren, um bestimmte Menschen auszugrenzen.
Die gleiche Absicht hatten sehr oft vermeintlich "naturwissenschaftlich" oder durch das "wahre" Buch der Bücher, die Bibel, begründete Theorien. Sie versuchten immer zu beweisen, dass die Mehrheit "richtig genormte" Gefühle habe und die Minderheiten darum "falsch normiert" seien oder dem "Schöpfungsplan Gottes" widersprechen.
Diese Unterscheidung in richtig und falsch trifft man auch heute in der Schweiz weiterhin an, obwohl wir dem Idealzustand der absoluten Akzeptanz aller Menschen so nahe sind wie noch nie zuvor. Die nationalen LGBT-Verbände haben dieses Jahr zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Intersex- und Transphobie berichtet, dass im Jahr 2019 66 Fälle von Hassverbrechen gemeldet wurden. Man weiss, dass dies nur ein Bruchteil der tatsächlich geschehenen Taten ist und sie betreffen nur die Schweiz, ein Land mit fortschrittlichen Gesetzen und viel Aufklärung. Das jahrelange Ringen um die Ehe für Alle ist ein weiterer Beweis dafür, dass gleichgeschlechtliche Liebe nicht selbstverständlich ist. Jedes Detail muss der Mehrheit abgerungen werden. Vollends absurd ist die Begründung, dass die Ehe für Heterosexuelle bedroht sei, wenn sie auch für Homosexuelle geöffnet werde.
Um zu verstehen, wie wichtig der Kampf für gleiche Rechte ist, hilft ein Blick zurück. Auf der Website schwulengeschichte.ch finden wir im Kapitel "Wege zur Selbstbestimmung" Biografien von Persönlichkeiten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Johannes von Müller, Heinrich Hössli, Jakob Stutz, Karl Heinrich Ullrichs und Jacob Rudolf Forster haben bereits zu ihrer Zeit Werke veröffentlicht, die sich dafür einsetzten, dass Homosexualität naturgegeben sei und darum weder kriminalisiert noch als Krankheit bezeichnet oder als Sünde verdammt werden könne. Teilweise haben sie das Thema Homosexualität in erstaunlich offener Weise angesprochen und sich unerschrocken dafür eingesetzt, dass die gleichgeschlechtliche Liebe anerkannt wird - mit der immer wieder gleichen Begründung: Was sich offensichtlich nicht ausrotten lässt oder im Lauf der Evolution nicht verschwunden ist, muss Natur sein.
Überarbeitete Zeittafeln machen Inhalte zugänglicher
hpw. Noch sind sie nicht fertig, aber wir sind auf gutem Weg. Die Zeittafeln 1800-1899, 1943-1967 und 1968-1989 wurden in den letzten Monaten von Daniel Bruttin schon mal überarbeitet und erweitert. Die Arbeit an den restlichen Zeittafeln läuft.
Die Überarbeitung erhöht die Nutzerfreundlichkeit von schwulengeschichte.ch stark. Die Ereignisse, die in den Zeittafeln aufgelistet werden, sind jetzt direkt verlinkt mit den weiterführenden Inhalten der Website. Bei einigen Einträgen fehlen Links, weil auch entsprechende weitere Informationen auf schwulengeschichte.ch fehlen. Zudem sind wahrscheinlich nicht alle wichtigen Ereignisse erfasst. In beiden Fällen bitten wir unsere Freundinnen und Freunde, ihr Wissen beizusteuern.
Wir freuen uns über Hinweise zu Quellen, über Texte zu Ereignissen oder über Personen, die einen Text erstellen wollen, weil sie einen persönlichen Bezug dazu haben oder über Wissen oder Material verfügen. Hinweise gerne auf redaktion-at-schwulengeschichte.ch.