Begriffserklärung

Homosexualität, Heterosexualität, Homophilie, Homophobie

In den 50er-Jahren begann Karl Meier / Rolf den Begriff Homophilie im Kreis zu verwenden. In den 60er-Jahren wurde er von Heterosexuellen übernommen, die damit eine verständnisvolle Haltung zum Ausdruck bringen wollten.

"Homophilie" (dem Gleichen zugeneigt, mit Gleichen befreundet sein) wurde als rein griechischer Begriff dem griechisch-lateinischen Zwitter-Wort "Homosexualität" (Gleichgeschlechtlichkeit) vorgezogen. Hauptgrund war, dass "homophil" den Menschen als Ganzes bezeichnet, während "homosexuell" ihn nur auf die andersgeartete sexuelle Orientierung reduziert. Das lehnte man zu Recht als diskriminierend ab.

Homophilie setzte sich aber nicht durch und wird heute kaum mehr verwendet. Dafür begannen die Homosexuellen ihrerseits mit dem konsequenten Gebrauch von "heterosexuell", wenn sie die anderen meinten. Heute gilt dieser Begriff als eingeführt, auch bei der "heterosexuellen Mehrheit" (der österreichisch-ungarische Schriftsteller Karl Maria Kertbeny hat 1869 beide Ausdrücke erfunden).

In ähnlicher Weise kann der Begriff Homophobie verstanden werden. Er ist das Gegenteil von Homophilie und gleichfalls eine rein griechische Zusammensetzung: Phobos = Angst3. Dass Angst und Schrecken im Menschen Hass- und Feindschaftsgefühle erzeugen oder steigern, ist eine leicht überprüfbare Reaktion. Beide, vor allem die Angst, gründen auf Unwissen, Nichtkennen der Umstände oder Nicht-Wissen-Wollen und auf daraus entstandene oder entstehende Vorurteile. Homophobie gilt heute als Feindschaft gegenüber Homosexuellen. Der Begriff wird von Homosexuellen gebraucht, um diskriminierende Gedanken, Worte, Taten als "homophobe Verhaltensweisen" zu bezeichnen. Damit ist die gesetzliche Ächtung dieser Verhaltensweisen einforderbar. Beispiele: Minderheitenschutz, Antirassismus-Gesetze mit Geltung auch für Homosexuelle, Verbot diskriminierender Äusserungen.

In den 60er-Jahren gab es Leserbriefe, die den Disput um "Homosexualität und Homophilie" mit weiteren Argumenten bereicherten. Beispielsweise in der TAT 1966, wo der Zürcher Soziologe Oreste Zanolari schrieb:1

"Es ist leider Tatsache, dass Dr. Bovet zusammen mit homosexuellen Interesse-Kreisen in sachlicher Verkennung und Verfälschung des Problems Homophilie und Homosexualität gleichsetzt und einer fatalen Tendenz Raum gibt.

In Tat und Wahrheit sind die Begriffe Homophilie und Homosexualität nicht gleichbedeutend. Homosexualität bedeutet eine sexuelle Perversion. [...] Das griechische Wort Philia [...] heisst aber: Freundschaft, Liebe, Zuneigung, und hat mit perversen Praktiken nichts zu tun."

Angesprochen wurde die in Zusammenarbeit mit dem KREIS 1965 veröffentliche Aufklärungsschrift von Dr. Theodor Bovet "Probleme der Homophilie in medizinischer, theologischer und juristischer Sicht".

Darauf entgegnete der deutsche Journalist Johannes Werres:2

"Der Begriff Homosexualität ist inzwischen international eingebürgert und als solcher wissenschaftlich allgemein verständlich. Es tat weiss Gott nicht Not, einen neuen Begriff Homophilie zu prägen. Leider wurde damit von Personen, die es gut meinten, heillose Verwirrung angestiftet. [...]

Die Möglichkeiten des Menschen, nur homosexuell zu fühlen und sich nicht auch homosexuell zu betätigen muss nach den Erkenntnissen der Konstitutionsbiologie und Verhaltensforschung als Ausnahme- und zum Teil sogar als Mangelerscheinung eingestuft werden. Sie kann und darf nicht als Vorbild hingestellt werden."

Damit hatte Werres schon früh die Tendenz jener religiösen Kreise als wissenschaftlich unhaltbar entlarvt, die homosexuelle Menschen achten wollen, wenn sie die "Sünde" der Betätigung ihrer Sexualität nicht begehen. (Die katholische Kirche verlangt im heute gültigen Kathechismus die sexuelle Abstinenz für den rechtgläubigen Homosexuellen.) Werres sah im Begriff Homophilie einen möglichen Ansatz für widernatürliche, den gesunden Homosexuellen verkrüppelnde Lehren und befürchtete ein mögliches Ausspielen von "guten" Homophilen gegen "sündige" Homosexuelle, was Zanolari in seinem Leserbrief indirekt bestätigt.

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Ernst Ostertag, Juni 2006

Quellenverweise
1

TAT, vom 7.1.1966

2

TAT, vom 11.3.1966

Anmerkungen
3

Der eine Sohn von Aphrodite (lt. Venus) und Ares (lt. Mars) hiess Phobos, der andere Deimos (= Schrecken) und beide begleiteten ihren Vater, wenn er als Kriegsgott in die Schlacht zog.