Was tat der KREIS?
Anfänglich war Karl Meier / Rolf als Redaktor des Menschenrecht und ab 1943 des Kreis sehr zurückhaltend, weil er die mühsam errungene Freiheit für Homosexuelle in keiner Weise aufs Spiel setzen wollte. Es gab jedoch Abonnenten, die an seiner Stelle Flüchtlingen, die sich bei der Redaktion gemeldet hatten, vorübergehende Unterkunft verschafften und ihnen beistanden, damit sie, wenn immer möglich, den Flüchtlingsstatus erhalten konnten.
Ein Erwähnen homosexueller Veranlagung als Fluchtgrund war undenkbar, das Risiko einer Verweigerung und Abschiebung war viel zu gross. Erleichternd wirkte dabei der Umstand, dass einerseits sorgfältiges Verbergen der Veranlagung Teil jeder homosexuellen Persönlichkeit war und es andererseits als unschicklich galt, Sexuelles zu thematisieren.
Gute (= wohlwollende) Beziehungen zu Behörden und Polizei waren Voraussetzung für das Erscheinen der Zeitschrift wie für die Organisation geselliger Zusammenkünfte und sonstiger Treffen. Seit einer kurzen Verhaftung 1937 von Mammina und Rolf zwecks Abklärung, ob hinter der "Liga für Menschenrechte" eine kommunistische Zelle stecke, galt den beiden jede Verbindung zu "Kommunisten" als gefährlich, obschon politische und religiöse Neutralität bei der Liga für Menschrechte und im KREIS selbstverständlich war. Kontakte zu Flüchtlingen, politischen wie anderen, wurden aus Gründen des gegenseitigen Schutzes fast immer verschwiegen.
Später, in den 50er Jahren, erzählten die älteren Kameraden gerne von ihren Erlebnissen während der Kriegszeit und berichteten auch von Flüchtlingen. Via KREIS hätten etliche vorübergehend Zuflucht und materielle Hilfe gefunden. Aufnahmebedingungen und Asylmöglichkeiten seien mitgeteilt worden und über Abonnenten mit "Verbindungen" habe es auch gelegentlich Arbeit gegeben. Leute mit besonderen Kenntnissen, vor allem wissenschaftlicher oder sprachlicher Art, waren gesucht.
Schriftliche Belege gibt es fast keine. Alles geschah unter der Hand, denn es war verboten, unangemeldete Ausländer über mehr als zwei bis drei Tage zu beherbergen. Trotzdem existierten (vor dem Krieg und weiter bis 1942, danach wurde es wesentlich schwieriger) verschiedene mehr oder weniger verborgene Auffangnetze, private, halbkirchliche, halbpolitische und auch homosexuelle. Das Menschenrecht, Jahrgang 1939, berichtete davon und rief zur Kameraden-Hilfe auf. Auch im Teil 4 DER KREIS (unter "Ausstrahlung ins Ausland", im Kapitel "Deutschland") sind Beispiele der Hilfe an Flüchtlinge aufgezeichnet, wobei es sich dort um §175-Verfolgte in der Nachkriegszeit handelt.
Die Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (UEK, "Bergier-Kommission") stellt in ihrem Schlussbericht 2002 fest:
"Fürsorgeabhängigkeit und moralische Beanstandungen wie unsittlicher Lebenswandel, Homosexualität oder Querulantentum konnten zum Entzug der Aufenthaltsbewilligung und zur Ausschaffung führen."1
Es gibt, und das ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich, nur ganz wenige Dokumente über homosexuelle Flüchtlinge. Und diese beziehen sich, zumindest bis 1945, auf eher prominente Persönlichkeiten, die später Berichte über ihr Exil in der Schweiz verfassten. Zwei davon werden in den beiden folgenden Unterkapiteln vorgestellt, weil ihre Geschichte ein Licht auf die Zeit und den Umgang mit solchen Emigranten wirft.
Ernst Ostertag, März 2007
Weiterführende Links intern
Quellenverweise
- 1
Bergier Bericht, Seite 159